So kommen Sie auf den Geschmack
Man kann lernen, Lebensmittel besser zu erschmecken. Eine Expertin verrät, wie es geht.
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Wachsig, grün, malzig – wenn die Sensorikwissenschaftlerin Christine Brugger Lebensmittel erschmeckt, wird es sprachlich oftmals blumig. Die Geschmacksexpertin weiss genau, was es braucht, damit jedes Aroma Zunge, Gaumen und Nase erreicht. Die fünf wichtigsten Faktoren, um zum feinen Schmecker zu werden.
Sich Zeit nehmen
Wer tausend Dinge im Kopf hat und neben dem Essen noch anderes tut, wird kein tolles Geschmackserlebnis haben. «Man muss innehalten und das Essen bewusst wahrnehmen», sagt Brugger. «Wenn man das schafft, dann kann etwas Simples wie Brot mit Butter der Wahnsinn sein: der weiche Teig und die knusprige Kruste, der salzige und doch süsse Geschmack des Brotes und als Gegenpol die leicht säuerliche Butter. Herrlich! Wenn ich aber nebenher noch Kaffee trinke und Zeitung lese, dann haben all diese Geschmäcke kaum eine Chance.»
Christine Brugger
Die Sensorikwissenschaftlerin Christine Brugger hat sich in ihrer Forschungstätigkeit schwerpunktmässig mit dem Training und dem Ausdrucksvermögen sensorischer Eigenschaften beschäftigt. Sie bildet wissenschaftlich arbeitende Testpersonen aus ebenso wie Sommeliers verschiedener Disziplinen und führt private Coachings durch.
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Trainieren Sie
Den Geschmack eines Lebensmittels (salzig, süss, bitter, umami, sauer) nehmen wir auf der Zunge wahr, das Aroma (davon gibt es Tausende) über die Nase. «Die Aromen werden erst durchs Kauen freigesetzt. Man sollte sich deshalb Zeit lassen dafür. Achten Sie doch einmal darauf, was passiert, wenn Sie etwas länger oder kürzer kauen», rät Brugger.
Aufschlussreich ist es auch, Unterschiede in scheinbar gleichen Lebensmitteln zu erschmecken: Kaufen Sie verschiedene Sorten Vollmilch. Geben Sie jede in ein separates Glas, sodass Sie nicht sehen, welche Sorte Sie trinken. Versuchen Sie dann, Unterschiede herauszuschmecken. «Sie werden Feinheiten wahrnehmen, die Ihnen zuvor nicht bewusst gewesen waren.»
Auch die Nase können Sie trainieren. «Nehmen Sie Kräuter und Gewürze und packen Sie sie einzeln in Döschen. Markieren Sie an unsichtbarer Stelle, was in jeder Box ist und schnuppern Sie immer wieder daran und versuchen Sie zu erkennen, was Sie riechen.»
Ein gutes Gaumengefühl
Neben Zunge und Nase spielt der Gaumen eine zentrale Rolle beim Schmecken. Um Geschmäcke zu erkennen, ist es wichtig zu wissen, wie sich salzig, süss, sauer, umami und bitter im Gaumen anfühlen. «Dieses Mundgefühl ist ganz wichtig, wenn man über Geschmack spricht. Süss macht zum Beispiel einen weichen Gaumen. Nehmen Sie einfach einmal eine leichte Zuckerlösung in den Mund und achten Sie darauf, was im Gaumen passiert.»
Wohltemperiert
Je nachdem, ob man etwas heiss oder kalt verkostigt, verändert sich der Geschmack. «Die Temperatur spielt bei allem Geschmacksarten eine grosse Rolle ausser bei Säure, die sich dadurch nicht verändert.» Bei süss oder bitter sind die Unterschiede besonders gut zu schmecken. Cola ist warm viel süsser als kalt, der bittere Gout des Kaffees hingegen kommt kalt besser zur Geltung als warm. Das gilt auch für bittere Gemüsesorten: «Ich mag beispielsweise keinen Rosenkohl. Ist er ganz heiss, kann ich ihn essen – kalt und damit besonders bitter überhaupt nicht.»
Die richtigen Worte finden
Sensorikerinnen und Sensoriker prüfen das Aussehen, den Geschmack, den Geruch, die Konsistenz und die Textur eines Lebensmittels und beschreiben es. Eine grosse Herausforderung dabei ist es, Düfte und Gerüche nicht nur zu erkennen, sondern sie auch zu benennen. Das will gelernt sein. «Es ist oft schwierig, die passenden Worte zu finden für einen Geschmack. Doch mit der Zeit entwickelt man ein Vokabular, das ist fast schon wie das Lernen einer Fremdsprache. Und wie bei dieser muss man es pflegen, um es nicht wieder zu verlernen», sagt Sensorikerin Christine Brugger. Um passende Worte zu finden, lehnt man sich immer an etwas an, was man schon kennt. Wer beispielsweise nicht weiss, wie eine Paranuss schmeckt, wird nicht sagen, etwas schmecke paranussig. Und: Wer etwas oft isst, hat auch eine reichhaltigere Sprache, um den Geschmack zu beschreiben. «Wir haben eine Studie durchgeführt, bei der der Geschmack von Äpfeln beschrieben werden musste. Jene Probanden, die regelmässig Äpfel assen, hatten viel mehr Worte für die Geschmäcke als jene, die das selten taten.»
Passende Paarungen
Wer gerne kocht und sich auch Ungewohntes traut, kann mit Geschmäcken spielen und zum Beispiel Dinge kombinieren, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenpassen. Das nennt sich Foodpairing. «Weisser Spargel zum Beispiel schmeckt gekocht deutlich nach Vanillin und hat eine süsse Note. Also dünste ich Spargel mit einer Vanilleschote an», sagt Christine Brugger. Andere wohlschmeckende Paarungen sind Zimt und Tomate, Schinken und Melone oder Erdbeere und schwarzer Pfeffer. «Das funktioniert, weil die Hauptaromen jeweils dieselben sind. Darum passt beispielsweise Ingwer gut zu Zitrone, weil Ingwer eine Zitrusnote hat. Oder Koriander, der eine Rosennote hat, passt wunderbar zu marokkanischen Gerichten mit Rosenwasser oder kann dieses sogar ersetzen.» Man kann auch unterschiedliche Aromen kombinieren, das ist aber schwieriger. «Ich empfehle, beim Foodpairing mit gleichen Aromen anzufangen, also mit der Harmonie. Dann kann man sich von dort aus langsam vortasten zur Königsdisziplin, dem Kontrast.»
Wissenschaftliche Kontrolle: Dr. phil. nat. Anita Finger Weber
- Quellen
Drogistenstern
Sensorikwissenschaftlerin Christine Brugger
Jonas Inderbitzin; Leyla Roth-Kahrom: «Grundlagen der Sensorik», Agroscope (Hrsg.), 2020