Schmecken – wie geht das?

Die Zunge kann zwar Geschmack, nicht aber Aromen erkennen. Zum Glück spielt beim Geniessen auch die Nase mit …

Läppische fünf Geschmacksrichtungen kann die menschliche Zunge unterscheiden: süss, sauer, salzig, bitter und umami. Und trotzdem schmeckt jedes Essen einzigartig. Das Geheimnis liegt im Zusammenspiel von Zunge, Nase und Hirn, in der Vereinigung von Geschmack und Aroma.

Unterschied zwischen Aroma und Geschmack

Wer verstehen möchte, wie Schmecken funktioniert, muss zuerst einmal den Unterschied zwischen Aroma und Geschmack verstehen. «Umgangssprachlich steht ‹schmecken› für beides», sagt Lebensmitteltechnikerin Prof. Dr. Irene Chetschik von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZAHW), die auf Aromaforschung spezialisiert ist. «Wissenschaftlich aber gibt es eine klare Unterscheidung: Geschmack ist das, was man auf der Zunge erkennt; was man über die Nase wahrnimmt, ist das Aroma.»

Irene Chetschik

Professor Dr. Irene Chetschik ist Lebensmitteltechnikerin und forscht an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Nach dem Studium der Lebensmittelchemie und der Promotion in Aromaforschung an der Technischen Universität München arbeitete Sie als Aromaforscherin in zwei internationalen Konzernen der Nahrungsmittel- und Genussindustrie. Seit 2018 leitet sie am Institut für Lebensmittel und Getränkeinnovation der ZHAW die Forschungsgruppe Lebensmittelchemie.

Geschmack

Auf der Oberfläche der Zunge sitzen Geschmackspapillen. In diesen Papillen liegen kleine Kapseln, die Geschmacksknospen. Durch Geschmacksstiftchen in den Knospen gelangen Informationen über den Geschmack via Nerven zum Gehirn. Dort werden sie ausgewertet und wir nehmen sie wahr. Fünf verschiedene Geschmacksrichtungen kann der Mensch auf diese Weise erkennen: süss, sauer, salzig, bitter und umami.

Der Begriff umami stammt aus dem Japanischen. Wörtlich übersetzt heisst umami «köstlicher Geschmack» und kann am besten als «schmackhaft», «wohlschmeckend» oder «herzhaft» umschrieben werden. Entdeckt und benannt wurde die Geschmacksrichtung 1908 vom japanischen Chemiker Kikunae Ikeda. Und so entsteht der Geschmack: Werden Proteine in ihre kleinsten Bausteine (Aminosäuren) zerlegt, entsteht freie Glutaminsäure. Und die schmeckt umami. Dieser Effekt kann durch Kochen, Fermentieren, Reifen und Trocknen proteinreicher Nahrungsmittel ausgelöst werden. Darum dominiert umami als Geschmack in Lebensmitteln wie lange gereiftem Käse oder fermentierten Produkten wie Sojasauce. Glutamat wird als Geschmacksverstärker auch industriell hergestellten Lebensmitteln beigemischt.

Mythos Zungenkarte

Viele dürften schon von der sogenannten Zungenkarte gehört haben. Einer Karte der Geschmackszonen, wonach beispielsweise die Rezeptoren für Süsses ganz vorne an der Zungenspitze sitzen und jene für Bitteres ganz hinten. Vergessen Sie das bitte ganz schnell wieder, es stimmt nicht. Die ganze Zunge kann alle Geschmacksrichtungen wahrnehmen. Im Zentrum der Zunge befinden sich zwar weniger Geschmacksrezeptoren als am Rand. Aber die Rezeptoren für die verschiedenen Geschmacksqualitäten sind ungefähr gleich verteilt. Der Irrglaube mit der Zungenkarte hat seinen Ursprung in einem Übersetzungsfehler. 1901 beschrieb der deutsche Forscher David Hänig in seiner Doktorarbeit, dass verschiedene Bereiche der Zunge unterschiedlich empfindlich auf Süsses, Saures, Bitteres und Salziges reagieren. Was jedoch nicht bedeutet, dass der jeweilige Geschmack ausserhalb dieser Zonen gar nicht wahrnehmbar ist. Doch genau so missverstand der US-Psychologe Edwin Boring die Arbeit, als er sie 1942 übersetzte.

Aroma

Dank der Zunge weiss der Mensch nun also, ob das, was er gerade isst, süss oder bitter schmeckt, doch den eigentlichen Geschmack des Essens kann er erst erfassen, wenn auch die Nase in Aktion tritt. Sie nimmt nämlich Tausende verschiedene Aromen auf. Wie wichtig die Nase beim Erkennen von Geschmäcken ist, merkt man besonders gut, wenn sie ausfällt – oder hat Ihnen mit einer Schnupfennase schon mal ein Essen wirklich geschmeckt?

«Die Nase hat etwa 400 unterschiedliche Geruchsrezeptoren, die unterschiedliche Aromastoffe erkennen können», sagt Irene Chetschik. Riechen kann der Mensch auf zwei Arten. Wer sich über den Kochtopf beugt und am Braten schnuppert, nimmt Gerüche direkt über die Nase auf (orthonasal). Isst man den Braten, steigen die Aromamoleküle von der Mundhöhle aus in die Nase (retronasal).

Schärfe und Kälte

Neben Nase, Zunge und Hirn gibt es aber noch einen vierten Mitspieler in Sachen Geschmackswahrnehmung: den Trigeminusnerv. «Er ist dazu da, beispielsweise Kälte oder Schärfe wahrzunehmen», sagt Irene Chetschik. «Menthol etwa löst ein kühles Empfinden aus; Capsaicin, ein Inhaltsstoff von Chili, eine brennende Schärfe.»

Wir riechen das Essen also beim Kauen, erkennen über die Zunge die Geschmacksrichtung und mit dem Trigeminusnerv, ob etwas scharf, kühl oder vielleicht brennend ist – im Zusammenspiel all dieser Wahrnehmungen entsteht schliesslich das, was wir allgemein als «Geschmack» bezeichnen.

Supertaster

Etwa 25 Prozent aller Menschen sind «Supertaster». Nein, das bedeutet nicht, dass sie einen besonders guten Geschmack hätten, sondern das heisst lediglich, dass sie Bitterstoffe besonders intensiv wahrnehmen. Menschen, denen Bitternoten im Essen hingegen nichts ausmachen, heissen «Non-Taster». Die Geschmacksempfindlichkeit eines Menschen wird durch seine Gene bestimmt.

Süss

Ob ein Essen uns schmeckt oder nicht, ist dann wieder eine andere Geschichte. Manches aber mögen eigentlich alle: Süsses. Der Mensch hat von Geburt an alle Geschmacksrezeptoren, aber Babys sind «darauf getrimmt, Süsse wahrzunehmen», sagt Irene Chetschik. «Das sieht man ihnen sogar an. Sie lächeln, wenn sie etwas Süsses schmecken.» Diese Vorliebe ist evolutionär bedingt. «Süsse signalisiert, dass eine Nahrung energiereich ist, was den Babys das Wachstum ermöglicht. Auch Muttermilch ist kohlenhydratreich und süss.»

Bitter

Bittere und saure Speisen hingegen mögen Babys gar nicht. «Nimmt das Baby Bitteres oder Saures auf, verzieht es das Gesicht. Diese Reaktion nennt man gustofazialen Reflex. Er schützt das Kind, denn Bitterkeit ist ein Warnsignal für gefährliche, giftige Speisen. Und Säure warnt vor verdorbenen, verfaulten oder auch unreifen Früchten

Die angeborene Abscheu vor sauren oder bitteren Lebensmitteln verliert sich mit der Zeit. «Der Mensch erkennt, dass bitter durchaus gut schmeckt, etwa in Kombination mit Früchten im Aperitif oder als Gemüse. Es gibt aber auch Menschen, bei denen ist die Bitterwahrnehmung sehr stark ausgeprägt. Diese sogenannten Supertaster (siehe Kasten) nehmen gewisse Bitterstoffe sehr intensiv wahr.»

Das gustatorische System

Der Geschmack ist ein komplexer Sinneseindruck, der sich aus gustatorischen (Geschmackssinn), olfaktorischen (Geruchssinn), haptischen (Tastsinn) und aus optischen Eindrücken zusammensetzt. Selbst Geräusche beim Essen spielen eine Rolle. Es handelt sich also um mechanische Reize und Wärmereize im Mund, die Konsistenz, Feuchtigkeit, Flüssigkeit oder Temperatur eines Lebensmittels prüfen. Diese Empfindungen ergeben zusammen das sogenannte Mundgefühl. Zusammen mit Geruchswahrnehmungen der Aromastoffe durch die Nase und im Gaumen-Nasen-Bereich kommt die Geschmackswahrnehmung zustande.

Aufs Ambiente kommt es an

Doch nicht nur die Gene beeinflussen den Geschmack. Stellen Sie sich vor: Ferien in Frankreichs Süden, schlemmen im Restaurant, dazu ein guter Tropfen – Genuss pur! Wer nimmt da nicht gerne ein paar Flaschen mit nach Hause. Doch daheim auf dem Sofa, mit Bettsocken vor dem Fernseher, schmeckt der Rote plötzlich gar nicht mehr so toll. Das ist nicht nur Einbildung. «Die Rezeptoren funktionieren selbstverständlich immer gleich, es laufen immer dieselben biochemischen Prozesse ab. Aber das ganze Drumherum, die Atmosphäre, spielt eben auch eine Rolle. Das wurde bereits in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen.»

Wahrscheinlich schmeckt Ihr Lieblingsmenü also noch besser, wenn die Beleuchtung angenehm ist, gute Musik im Hintergrund läuft, der Tisch schön gedeckt ist und Sie in netter Gesellschaft sind. Probieren Sie es aus!

Autorin und Redaktion: Bettina Epper
Wissenschaftliche Kontrolle: Dr. phil. nat. Anita Finger Weber
Quellen
  • Drogistenstern

  • Professor Dr. Irene Chetschik, Lebensmitteltechnikerin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).

  • Helmut Milz: «Der Eigensinnige Mensch. Körper, Leib & Seele im Wandel», Edition Zeitblende, 2019

  • Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB)

  • Renate Huch, Klaus D. Jürgens (Hrsg.): «Mensch, Körper, Krankheit», Urban & Fischer, 2019

  • Bartoshuk, L. M., Duffy, V. B., Reed, D., & Williams, A.: «Supertasting, earaches and head injury: genetics and pathology alter our taste worlds», 1996, Neuroscience & Biobehavioral Reviews

  • Charles Spence: «Gastrologik. Die erstaunliche Wissenschaft der kulinarischen Verführung», Verlag C. H. Beck, 2018