Gesunde Ernährung

«Der Körper weiss, was er braucht»

Gesunde Ernährung ist in aller Munde und im Internet finden sich unzählige Tipps. Mal soll man auf dieses verzichten, mal bei jenem grosszügig zugreifen. Genau das kann zu Mangelernährung führen. Dabei ist es gar keine Zauberei, alle wichtigen Nährstoffe zu bekommen.

0,8 mg Vitamin A, 30–60 µg Biotin, 1000 mg Kalzium, 4000 mg Kalium, 4 µg Vitamin B12, 15 mg Eisen – schwirrt Ihnen der Kopf? Dabei ist das nur eine kleine Auswahl der Mikronährstoffe, die der menschliche Organismus braucht, um zu funktionieren. Aber keine Angst. Diese sogenannten DACH-Referenzwerte (siehe Kasten) sagen zwar, dass beispielsweise eine 46-jährige Frau pro Tag 0,8 mg Vitamin A oder 15 mg Eisen brauche. Das bedeutet aber nicht, dass sie jeden Tag alle Nährstoffe mit der Briefwaage abwägen muss, um ausreichend versorgt zu sein.

Prof. Dr. med. David Fäh

Der Arzt und Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. med. David Fäh ist Dozent an der Berner Fachhochschule.

www.davidfaeh.ch

Tipp 1: Ausgewogen essen

In der Schweiz ist der weitaus grösste Teil der Bevölkerung genügend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt, wie Ernährungsmediziner Prof. Dr. med. David Fäh sagt. «Wer sich breit und ausgewogen ernährt, dem mangelt es an nichts», so der Dozent an der Berner Fachhochschule. Und das ist gar nicht so kompliziert. Am besten orientiert man sich an der Lebensmittelpyramide der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung, isst also viel Gemüse und Früchte, trinkt viel Wasser und hält sich bei stark verarbeiteten Produkten, Fleisch und «leeren Kalorien» aus Süssigkeiten, zuckergesüssten und alkoholischen Getränken zurück.

Wer genau wissen möchte, wie viele Nährwerte bestimmte Lebensmittel enthalten, kann sich beispielsweise in der Schweizer Nährwertdatenbank informieren. Aufschluss über den Bedarf geben die eingangs erwähnten DACH-Referenzwerte (siehe Kasten). Aber all das ist nicht nur kompliziert, sondern auch wenig aussagekräftig: «Der Nährwert von Lebensmitteln kann extrem variieren je nach Sorte, Bodenbeschaffenheit und Region, Jahreszeit und Erntezeitpunkt. Und was die Referenzwerte betrifft: Eigentlich weiss niemand so genau, wie viel Nährstoffe man wirklich braucht.» Die Werte beruhen nämlich nicht auf Studien, es sind nur grobe Schätzungen. «Entsprechende Studien am Menschen wären unethisch. Wir können ja niemanden bewusst einem möglichen Mangel aussetzen und dann schauen, wann er Schaden nimmt.»

Tipp 2: Auf den Körper hören

Neben der Lebensmittelpyramide ist auch der eigene Körper ein guter Ratgeber, wie David Fäh sagt. «Der Körper weiss, was er braucht. Er funktioniert im Prinzip wie ein Thermostat, immer darum bemüht, ein ideales Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Das gilt zum Beispiel für die Körpertemperatur, den Säure-Basen-Haushalt oder die Hormone. Und auch für Nährstoffe.» Kurz: Wer auf seinen Körper hört, isst automatisch ausgewogen. «Wenn man auf etwas Bestimmtes Lust hat, ist das ein gutes Zeichen. Das sieht man auch bei Tieren. Kälber, die bewusst einem Eisenmangel ausgesetzt werden, damit ihr Fleisch weiss bleibt, schlecken beispielsweise ständig am Metallgatter.»

Grundsätzlich sind körperliche Bedürfnisse, aber auch Abneigungen gegen bestimmte Lebensmittel, gute Ratgeber. «Viele Kinder mögen keinen Spinat. Das kann auch damit zusammenhängen, dass darin Bitterstoffe enthalten sind, die Kinder oft nicht gut vertragen. Ausserdem ist ‹bitter› in der Natur ein Hinweis darauf, dass etwas giftig sein könnte. Es ist also durchaus sinnvoll, wenn Kinder solche bitteren Lebensmittel nicht essen möchten.»

Tipp 3: Jodiertes Salz

Wer sich ausgewogen ernährt, hat in der Regel also keinen Nährstoffmangel. Aber: «Schweizer Böden enthalten nicht alle wichtigen Spurenelemente und Mineralstoffe», sagt der Ernährungsmediziner. «Jod und Selen sind in zu kleinen Mengen vorhanden. Wer sich also nur von Produkten ernähren würde, die auf Schweizer Böden gedeihen oder von Tieren stammen, die Schweizer Futter gefressen haben, riskiert Jod- und Selenmangel.» Allerdings nur theoretisch. «Dass wir trotzdem keinen Mangel haben, liegt daran, dass in der Schweiz Kochsalz und Tierfutter mit Jod angereichert sind.» Allerdings ist die Versorgung zum Beispiel von Schwangeren in den letzten Jahren trotzdem schlechter geworden, weil viele statt jodiertem Kochsalz Spezialsalze wie Meersalz oder Himalayasalz konsumieren, die kaum Jod enthalten. «Und in vielen Fertigprodukten, die im Ausland hergestellt werden, ist ebenfalls kein jodiertes Salz.» Darum hat der Bund vor ein paar Jahren die Jodmenge im Salz erhöht.

Und auch die Selenversorgung ist in der Schweiz gut, obwohl die Böden selenarm sind. Denn wir konsumieren, etwa in Form von Teigwaren, auch viel ausländischen Weizen, beispielsweise aus Nordamerika, wo die Böden mehr Selen enthalten.

DACH-Referenzwerte

Die sogenannten DACH-Referenzwerte werden von den deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Ernährung gemeinsam herausgegeben. Das Kürzel DACH leitet sich ab aus den Länderkennzeichen für Deutschland (D), Österreich (A) und der Schweiz (CH). Die Werte können Empfehlungen, Schätzwerte oder Richtwerte sein.

Tipp 4: Ursache suchen

Ob man an einem Nährstoffmangel leidet oder an einem Überschuss, ist nicht immer einfach zu erkennen. «Meistens merkt man direkt nichts», sagt Fäh. «Mängel zeigen sich indirekt, zum Beispiel über Wundheilungsstörungen oder Anämie, also Blutarmut oder an Unregelmässigkeiten bei der Haut. Oft sind solche Symptome aber sehr unspezifisch wie Müdigkeit oder Erschöpfung und können viele Ursachen haben.» Darum ist es wichtig, einen vermuteten Mangel abzuklären respektive die tatsächliche Ursache des Problems zu finden und zu beheben. «Nimmt man einfach irgendwelche Nährstoffe ein, weil man denkt, einen Mangel zu haben, kann das gefährlich werden – auch weil man wirksame(re) Massnahmen verpassen könnte.»

Tipp 5: Bewegung

Eine gute Versorgung mit Nährstoffen hängt nicht nur mit der Ernährung zusammen. «Gerade im Alter ist Mangelernährung oft ein Problem vom Bewegungsmangel. Viele ältere Menschen sind sozial isoliert und allein zu Hause. In der Folge bewegen sie sich wenig, die Muskelmasse nimmt ab. Das wiederum führt dazu, dass sie weniger Hunger und Appetit haben, sie essen weniger und eintöniger – was letztlich zu Nährstoffmangel führen kann.»

Tipp 6: Richtiger Umgang mit Supplementen

Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamintabletten gibt es heute in jedem Supermarkt zu kaufen, ohne Beratung, oft in hoher Dosierung. Es kann gefährlich werden, wenn man sie falsch einnimmt, etwa zu hoch dosiert. «Vor allem bei den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K muss man aufpassen. Sie lagern sich in der Leber ab und können sie schädigen. Das kann bis zur Zirrhose gehen.»

Supplemente können sinnvoll sein, wenn ein nachgewiesener Mangel vorliegt. Ein recht häufiger Mangel besteht beispielsweise bei Eisen. «Vor allem bei Frauen in gebärfähigem Alter und auch bei älteren Menschen, bei denen der Körper das Eisen nicht mehr so gut aufnehmen kann.» Ist ein Eisenmangel nachgewiesen, rät Fäh zu einer ausgewogenen Ernährung. «Es gibt viele Optionen, es muss nicht Fleisch sein. Auch vegan lebende Frauen haben nicht zwingend Eisenmangel. Hülsenfrüchte etwa enthalten viel Eisen. Reicht die ausgewogene Ernährung nicht, kann es auch sinnvoll sein, die Reserven aufzufüllen, zum Beispiel mit Eisenpräparaten.» Ein weiteres Beispiel ist Vitamin B12. Veganer müssen es supplementieren.

Grundsätzlich gilt: Lassen Sie sich vor der Einnahme eines Supplementes immer von einer Fachperson beraten. Und: «Es ist wichtig, nur das zu supplementieren, was man nachgewiesenermassen braucht und nicht einfach ein Breitband-Supplement einzunehmen. Man sollte immer das Risiko-Nutzen-Verhältnis im Auge behalten. Das heisst, Risiken kann man eingehen, wenn ein gewisser Nutzen gegeben ist. Ist kein Nutzen vorhanden, warum sollte man dann ein mögliches Risiko eingehen?»

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Autorin und Redaktion: Bettina Epper
Wissenschaftliche Kontrolle: Drogistin HF Elisabeth von Grünigen
Quellen
  • Drogistenstern

  • Ernährungswissenschaftler Dr. med. David Fäh

  • Hans Konrad Biesalski: «Vitamine, Spurenelemente und Minerale», Georg Thieme Verlag, 2019

  • Andreas Hahn, Alexander Ströhle, Maike Wolters: „Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie», Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2016

  • Schweizerische Gesellschaft für Ernährung

  • ETH Zürich