Der Sehsinn einfach erklärt

Der Mensch orientiert sich sehr stark durch das Sehen – in allen Lebenslagen. Wie Sehen funktioniert und wann man von Farbschwäche oder Farbblindheit spricht.

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Der Sehsinn liefert rund 70 Prozent aller Informationen über die Umwelt. Pro Sekunde nimmt ein Mensch ca. zehn Millionen Informationen über die Augen auf, von denen er aber nur einen Bruchteil bewusst wahrnimmt. Die Augen sind sehr komplex aufgebaut, ihre Entwicklung dauert entsprechend lange. Nach der Geburt erkennen Säuglinge nur Helligkeitsunterschiede und Gesichter, die nicht weiter als ca. 25 Zentimeter entfernt sind. Erst mit dem vierten Lebensjahr sind die Augen dann mit der Ausreifung der Fovea centralis, des Orts des schärfsten Sehens, vollständig ausgebildet.

So funktioniert das Sehen

Durch die Pupillen gelangen Lichtstrahlen durch die Hornhaut auf die Netzhaut. Die Hornhaut bricht das einfallende Licht. Bei Dunkelheit dehnt sich die Iris, die Pupille vergrössert sich und lässt möglichst viel Licht ein. Ist es hell, verengen sich die Pupillen. Hinter der Pupille ist die Linse, die das einfallende Licht bündelt. Die Augenmuskeln können an ihr ziehen oder sich entspannen, wodurch sie ihre Form ändert, um entweder Dinge in der Nähe oder in der Ferne scharf zu sehen.

Computer Vision Syndrome

Wer täglich mehrere Stunden am Computer arbeitet, hat abends oft müde Augen. Viele leiden sogar an verschwommener Sicht, sehen Doppelbilder, haben Probleme beim Sehen von Farben, Augenflimmern, juckende, schmerzende, gerötete Augen, Augenbrennen, Druck in und ums Auge, tränende oder trockene Augen … Solche Beschwerden werden zusammengefasst als «Computer Vision Syndrome» bezeichnet. Die Ursachen sind offensichtlich: Buchstaben, Bilder und Icons auf Bildschirmen sind klein und das schnelle Klicken erfordert hohe Konzentration. Oft werden Geräte, insbesondere Smartphones, nahe an die Augen gehalten, wodurch sich die Symptome verstärken. Werden die Augen durch angestrengtes Nahsehen überfordert, kann es sogar zu einer «künstlichen Kurzsichtigkeit» kommen. Dabei verkrampfen sich die Augenmuskeln beim Nahsehen. Das Sehen in die Ferne ist für eine gewisse Zeit unscharf und wird erst nach der Entspannung wieder normal.

Der Lichtstrahl trifft nun auf die Retina (Netzhaut). Dort aktiviert er zwei Arten von Sinneszellen. Die Zapfen für die Wahrnehmung von Blau, Grün und Rot sowie die Stäbchen für die Unterscheidung von Hell und Dunkel. Treffen die Lichtstrahlen auf die Retina, steht das Bild auf dem Kopf. Der Sehnerv leitet das Bild ans Gehirn weiter. Dieses setzt die Lichtpunkte zu einem Bild zusammen und dreht es um.

Dyschromatopsie: Grau statt bunt

Rund 8 Prozent aller Männer und 1 Prozent aller Frauen leiden an einer Farbschwäche, einer sogenannten Dyschromatopsie. Normalerweise besitzt der Mensch drei Arten von Sinneszellen in der Netzhaut, mit denen er die Farben Rot, Grün und Blau wahrnimmt. Bei einem angeborenen Defekt ist die Funktion dieser Zellen und damit die Wahrnehmung von Rot, Grün oder Blau gestört oder ganz unterbunden. Am häufigsten sind Störungen für Rot und Grün. Die Gene der Farbstoffe für Rot- und Grün-Zapfen liegen auf dem X-Geschlechtschromosom, weshalb Männer etwa 10-mal häufiger an einer Farbsinnstörung leiden als Frauen. Vollständige Farbblindheit, die sogenannte Achromatopsie, ist sehr selten.

Das Auge isst mit

Die Farbe eines Nahrungsmittels scheint, so die Annahme der Wissenschaft, einen Einfluss auf den Geschmack zu haben. So assoziieren wir ganz unbewusst Rot mit Reife und Süsse, Gelb mit sauren und Grün mit bitteren Eigenschaften. Französische Weinexperten haben diesbezüglich eine interessante Studie durchgeführt. Sie haben 50 Probanden zuerst einen Weisswein und dann einen Rotwein eingeschenkt. Die Tester umschrieben den Geschmack des Weissweins mit fruchtig und zitronig; der Rotwein schmeckte für sie schokoladig, beerenartig oder rauchig. In einem dritten Glas war wieder Weisswein, aber diesmal mit einem neutralen Farbstoff zum Rotwein umgefärbt. Überraschenderweise wählten die meisten Testpersonen auch diesmal ihre früheren geschmacklichen Charakteristika für den Rotwein.

Autorin und Redaktion: Bettina Epper
Wissenschaftliche Kontrolle: Dr. phil. nat. Anita Finger Weber
Quellen
  • Franz Schmitz: «Taschenatlas Anatomie. Nervensystem und Sinnesorgane», Georg Thieme Verlag, 2018

  • Pro Retina Deutschland e. V., www.pro-retina.de

  • René Donzé, Franziska Pfister (Hrsg.): «Die Kraft der Sinne. Wie wir sehen, hören, tasten, riechen, schmecken», Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2016

  • Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V., www.augeninfo.de

  • Blinden- und Sehbehindertenverband Wien, Niederösterreich und Burgenland, www.blindenverband-wnb.at

  • Optikschweiz, Verband für Optometrie und Optik

  • Helmut Milz: «Der eigen-sinnige Mensch. Körper, Leib & Seele im Wandel», Edition Zeitblende, 2019