Anthroposophische Medizin
Folgende Themen werden in diesem Artikel behandelt
1. Definition
Die anthroposophische Medizin ist ein Diagnose- und Therapiekonzept, das 1921 seinen Anfang nahm und seither weiterentwickelt wurde. Heute wird diese ganzheitliche Medizin in über 60 Ländern praktiziert. Das Wort Anthroposophie ist aus den griechischen Wörtern anthropos (Mensch) und sophia (Weisheit) gebildet.
2. Philosophie
Die anthroposophische Medizin versteht sich als Erweiterung der konventionellen Medizin unter Einbezug des Menschen als geistiges, spirituelles Wesen. Sie verbindet die naturwissenschaftlich-akademische Medizin mit der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners. Mitbegründerin der anthrosophischen Medizin war Ita Wegmann.
Im Zentrum der anthrosophischen Therapie stehen der Patient und seine individuelle Behandlung. Alle Krankheiten werden auf seelische und geistige Vorgänge zurückgeführt. Anthroposophen betrachten Krankheiten als Chance. Körper, Geist und Seele sollen durch das Überwinden von Krankheiten lernen, neue Kräfte zu entwickeln. Dazu ist es notwendig, dass der Körper den Genesungsprozess langsam vollzieht. Therapeutisch verwendet die anthroposophische Medizin natürliche Präparate, um die Selbstheilungskräfte des Organismus anzuregen. Die Mittelwahl ist abhängig von der Art und Schwere der Erkrankung sowie dem Alter und Kräftezustand des Patienten. Die einseitige Betrachtung des Menschen bzw. von Krankheitsbildern aus rein naturwissenschaftlicher Sicht wird von Antroposophen abgelehnt. Als Begründung weisen Anthroposophen darauf hin, dass die Schulmedizin nicht in das spirituelle Leben des Menschen einzudringen vermöge. Der antroposophische Ansatz geht über rein körperlich-gesundheitliche Betrachtungen hinaus, es geht um philosophische Überzeugungen und eine entsprechende Lebenshaltung.
Wie und weshalb Krankheiten entstehen, erklären Vertreter der Anthroposophie mit dem Konzept der vier Wesensglieder:
Physischer Leib
Ätherleib (da geht es um die Vitalität eines Menschen)
Astralleib (es geht um seelische Aspekte)
Ich-Organisation (hier kommen die Denkfähigkeit und das Bewusstsein des Menschen zum Zuge)
Das Zusammenspiel dieser vier Wesensglieder lässt im Körper drei Funktionssysteme entstehen:
Nerven-Sinnes-System: das Zentrum ist der Schädel
Rhythmisches System: das Zentrum ist die Brust
Stoffwechsel-Gliedmassen-System: das Zentrum liegt im Bauchraum und in den Gliedmassen
Diesen Körpersystemen entspricht eine seelische Dreigliederung:
Das Nerven-Sinnes-Zentrum ist tonangebend im Denken.
Das rhythmische System ist tonangebend im Fühlen.
Das Stoffwechsel-Gliedmassen-System ist tonangebend im Wollen.
Je nachdem welches der Wesensglieder dominiert, erfolgt die Krankheitszuordnung:
skleroseartige (physischer Leib)
geschwulstartige (Ätherleib)
entzündungsartige (Astralleib)
lähmungsbedingte (Ich-Organisation)
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3. Plausibilität des Konzepts
Für anthroposophische Laien kann der anthroposophischer Ansatz abgehoben oder verwirrlich wirken: Zur geisteswissenschaftlichen Betrachtung aller Lebensbereiche gehört in der Anthroposophie auch der Glaube ans Übersinnliche, an eine kosmisch-irdische Wechselwirkung sowie geistige Wirkprinzipien. Dass sich körperliches, seelisches und geistiges Befinden gegenseitig beeinflussen, gehört auch zum etablierten Wissen der klassischen Medizin. Dasselbe gilt für die anthroposophische Forderung, die tagesrhythmischen Schwankungen und den Krankheitsverlauf bei der Behandlung mitzuberücksichtigen. Zum Ganzheitlichkeitsprinzip der Anthroposophie gehört zudem, dass der Pädagogik, der Kunst und der naturbelassenen Landwirtschaft (beispielsweise Demeter-Produkte) einen hohen Stellenwert eingeräumt wird.
4. Belege für die Wirksamkeit
Die Anthroposophische Medizin ist nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt. Ein Grund ist, dass viele Anthroposophen gängige naturwissenschaftliche Tests ablehnen, weil sich die feinstoffliche Anthroposophische Medizin nicht ins Schema kontrollierter Studien einfügen lasse. Für den anthroposophischen Arzt steht die individuelle Reaktion des Patienten im Vordergrund, um Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit zu beurteilen. Seit dem Entscheid des Bundesrates, die Kosten der Anthroposophischen Medizin vorläufig wieder über die Grundversicherung zu begleichen (siehe auch Punkt 10), wird von den Fachverbänden an den Wirksamkeitsnachweisen gearbeitet.
5. Anwendung
Die anthroposophische Behandlung geschieht auf verschiedenen Ebenen.
Medikamente: Grundstoffe der anthroposophischen Arzneimittel sind Pflanzen, Tiere, Salze, Metalle und deren Verbindungen. Typische mineralische Substanzen, die zum Zuge kommen, sind zum Beispiel Kalk, Schwefel oder Quarz. Zu den bekanntesten Heilpflanzen zählen Arnika, Gelber Enzian und Schöllkraut. Bei Metallen kommen häufig Gold, Silber, Eisen und Zinn zur Anwendung, und bei den tierischen Stoffen helfen Insektengifte und Organextrakte von Säugetieren. Die verschiedenen Stoffe werden auf eine Art und Weise aufbereitet, die in der klassischen Pharmazie nicht bekannt ist. Doch erst durch diesen Prozess werden die Ausgangsstoffe zu Arzneimitteln im anthroposophischen Sinn. Wo die konventionelle Medizin darauf ausgerichtet ist, Krankheitskeime abzutöten, Krankheitsprozesse zu unterdrücken und fehlende Stoffe zu ersetzen, geht die anthroposophische Medizin einen Schritt weiter: Ihre Arzneimittel und Therapien sollen bewirken, dass der Organismus – wo immer es möglich und sinnvoll ist – eine Krankheit aus eigener Kraft überwindet.
Die Mittel werden in verschiedenen Darreichungsformen angewandt:
Äusserlich als Nasensprays, Augentropfen, Emulsionen, Gelate, Essenzen, Öle, Pasten, Pulver, Tinkturen und Salben.
Innerlich als homöopathische Verdünnungen, Tropfen, Globuli, Pulver, Tabletten, Kapseln, Zäpfchen, Tees oder Vaginaltabletten.
Injiziert und inhaliert als sterile Verdünnungen und Ampullen.
Ernährung: Eine individuell zusammengestellte Ovo-Lacto-Vegetabil-Kost. Es geht um eine vegetarische Ernährungsweise, wobei Ovo-Lacto-Vegetarier (im Gegensatz zu Veganern) auch Eier, Milchprodukte und Honig essen.
Ausdruck: Die Lebenssituation wird reflektiert durch Malen, Modellieren, Musik- und Sprachtherapie sowie durch Gespräche mit Anthroposophischen Heilpraktikern. Es geht ums Aktivieren des Patienten.
6. Selbstbehandlung
Die anthroposophische Haupttherapie umfasst zwar ein komplexes, ganzheitliches Rahmenkonzept. Einzelne Methoden sind jedoch als begleitende Massnahmen zur Prävention und Behandlung von Krankheiten sowie zur Selbstbehandlung geeignet. Beispielsweise bei Hautleiden, Erkrankungen der Verdauungsorgane und als Begleitbehandlung bei Krebs (Misteltherapie) sowie bei psychischen Problemen und in der Kinderheilkunde. Einige Schweizer Unternehmen haben sich auf die Produktion von anthroposophischen Heilmitteln, Nahrungsmitteln und Kosmetika spezialisiert. Entsprechende Produkte und sachkundige Beratung dazu sind in Drogerien erhältlich.
7. Anwender und ihre Ausbildung
Die Allgemeine Anthroposophische Gemeinschaft und die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft haben ihren Sitz im Goetheanum in Dornach (in der Nähe von Basel). Schweizweit gibt es drei anthroposophische Krankenhäuser: In Arlesheim die «Ita Wegman-Klinik» (seit 1921) und die «Lukasklinik für Tumorerkrankungen» (seit 1963) sowie das Paracelsus-Spital in Richterswil (seit 1994) .
8. Behandlung und Ablauf
Die Behandlung wird auf verschiedene Ebenen (Körper, Geist, Seele) angesetzt. Ausgewählten Medikamente sollen das Gleichgewicht des Körpers wiederherstellen. Künstlerische Ergänzungstherapien wie Malen, Modellieren oder Musizieren sowie Bäder dienen dazu, den Heilungsprozess zu aktivieren. Eine spezielle Kost mit einem grossen Anteil pflanzlicher Lebensmittel unterstützt die anthroposophische Therapie.
9. Grenzen und Risiken
Bei sachgerechter Anwendung sind keine Nebenwirkungen bekannt. Gegenanzeigen und Wechselwirkungen ergeben sich aus den Inhaltsstoffen der jeweiligen Produkte und sind im Beipackzettel vermerkt. Wenn Sie schwanger sind, sollten sie vor einer anthroposophischen Behandlung ihren Gynäkologen um Rat fragen. Anthroposophische Arzneimittel enthalten unter anderem Metalle wie Blei und Quecksilber. Über eine längere Zeit eingenommen und in konzentrierter Form verabreicht, können diese schaden. Bedenken Sie, dass viele flüssige anthroposophische Arzneimittel Alkohol enthalten.
10. Zahlt die Krankenkasse?
Seit Anfang 2012 werden die fünf komplementärmedizinischen Methoden Homöopathie, Anthroposophische Medizin, Neuraltherapie, Traditionelle chinesische Medizin (TCM) und Pflanzenheilkunde von der Grundversicherung der Krankenkassen übernommen. Dies aufgrund eines Entscheids des Bundesrates.
Redaktion: Katharina Rederer
- Quelle
Rudolf Steiner: «Das Wesen des Menschen. Auszug aus Theosophie», Rudolf-Steiner-Verlag