Wenn der Wetterwechsel schmerzt

Ein Ziehen im Knie oder stechender Kopfschmerz: Viele Menschen meinen, anhand solcher Symptome einen bevorstehenden Wetterwechsel zu spüren. Aberglaube oder Wahrheit?

Wetterfühligkeit kommt nicht einfach aus heiterem Himmel. Laut Prof. Dr. Hans Richner (sh. Interview im Kasten) sind es meist verschiedene Faktoren, die zu Beschwerden wie Gelenk- oder Kopfschmerzen führen können.

Thermischer Wirkungskomplex

Der thermische Wirkungskomplex ist das Zusammenwirken von Temperatur, Feuchte, Strahlung und Wind. Alle diese Grössen beeinflussen die Energiebilanz des Körpers, also die Energie, die er aufwenden muss, um seine Solltemperatur zu halten. Im Extremfall kommt der Körper in einen Hitze- bzw. Kältestress. Lange bevor der Körper in eine Gefahrenzone kommt, können Reaktionen auftreten. So gibt es Anzeichen dafür, dass Kältebelastungen zu vermehrten Herzinfarkten, Hirnblutungen und rheumatischen Anfällen bzw. Erkrankungen führen. Es gibt zwar Hypothesen und Theorien, wie diese Reaktionen ausgelöst werden. Völlige Klarheit hat man aber eigentlich nur über Ursache und Wirkung verschiedener Faktoren. Dies sind Temperatur, Feuchte, Strahlung, Wind auf der physikalischen und Kleidung, Adaption, Energiebilanz auf der biologischen Seite. Alle kennen diese Zusammenhänge intuitiv und nutzt sie:

  • Wenn die Temperatur zu hoch ist, fächeln wir uns Luft zu.

  • Wenn wir draussen frieren, suchen wir einen Windschatten auf.

  • In tropischem Klima (40 Grad, 90 Prozent Feuchte) sind wir einem Kollaps nahe, hingegen fühlen wie uns in einer Sauna wohl (90 Grad, 10 Prozent Feuchte).

Für Gelenkschmerzen kann der thermische Wirkungskomplex eine mögliche Ursache sein, muss aber nicht.

Wetterfühligkeit

Prof. Dr. Hans Richner ist Lehrbeauftragter der ETH Zürich am Institut für Atmosphäre und Klima. Im Interview erklärt er, in welcher Verbindung unser Organismus zum Wetter steht.

Herr Richner, sind «wetterfühlige» Menschen Simulanten?

Prof. Dr. Hans Richner: Wenn es auch unter wetterfühligen Menschen Simulanten geben mag, so muss doch diese Frage mit einem klaren Nein beantwortet werden. Allerdings dürfte der Grund für die Beschwerden in vielen Fällen nicht das Wetter, sondern irgendwelche andere Umgebungseinflüsse sein. Interessant ist die Feststellung, dass verschiedene Personen zum Teil völlig verschiedene Wetterlagen für die gleichen Beschwerden verantwortlich machen.

Was sind die häufigsten Symptome bei «Wetterfühligkeit»?

In unseren Untersuchungen in den Siebzigerjahren waren Kopfschmerzen die am häufigsten genannten Beschwerden (12 %). Deutlich abgeschlagen folgten Muskelschmerzen (6,3 %), Ohrensausen (3,7 %) und Gelenkschmerzen (3,0 %). Interessant ist die Tatsache, dass das Auftreten von Kopfschmerzen mit keiner Wetterlage und keinem meteorologischen Parameter in Zusammenhang gebracht werden konnte.

Sind Frauen «wetterfühliger» als Männer?

In den erwähnten Befragungen sind die positiven Antworten bei Frauen etwa 10 Prozent häufiger als bei Männern.

Welches ist das «gelenkfreundlichste» Wetter?

Hier gilt eine einfache Feststellung: Die Betroffenen wissen sehr genau, bei welchen Wetterlagen sie sich wohlfühlen. Eine wissenschaftlich fundierte Begründung ist meist unmöglich, hinzu kommt ja die erwähnte Tatsache, dass verschiedene Personen oft auch völlig verschieden reagieren. Aus physikalischer Sicht würde man erwarten, dass warmes und trockenes Wetter günstiger ist als nasskalte Verhältnisse. Dies deshalb, weil unter warmen und trockenen Verhältnisse der Wärmeverlust am geringsten ist. Dieser Wärmeverlust kann natürlich auch durch entsprechende Kleidung bzw. Verbände reduziert werden.

Hat «Wetterfühligkeit» auch positive Seiten?

Aber sicher! Das Wetter wirkt auf unser Wohlbefinden einerseits über wissenschaftlich geklärte Mechanismen, und es tut dies natürlich hauptsächlich auch über unsere Psyche. Auch wenn es individuelle Unterschiede geben mag – grundsätzlich fühlen wir uns bei sonnigem, warmem Wetter besser als bei schlechtem. Aber: Das Wetter ist immer nur einer unter sehr vielen Faktoren wie Kleidung, Nahrung, Lärm, Gesundheit, die unser Wohlbefinden beeinflussen.

Wie lautet Ihr Expertentipp fürs Wohlbefinden in puncto «Wetterfühligkeit»?

Tun sie das, was Ihnen wohltut! Für Ihr Wohlbefinden sind Sie Ihr eigener Experte. Ob es wissenschaftlich begründet ist oder nicht, spielt dabei keine grosse Rolle.

Pollen und Allergien

In Sachen Pollenallergie spielt das Wetter nur eine sekundäre Rolle, indem es die Pollenproduktion beeinflusst; Auslöser von allergischen Reaktionen sind die Pollen selbst. MeteoSchweiz die Überwachung der Pollenkonzentrationen übernommen und macht durch Kombinationen der meteorologischen Situation und der Pollenreife entsprechende Vorhersagen von regionalen Pollenkonzentrationen. Forschung über die Wirkung von Pollen auf Organismen gehört in das Gebiet der Aerobiologie.

Ozon und Atemwegerkrankungen

Auch in Sachen Ozon spielt das Wetter nur die zweite Geige. Damit bodennahes Ozon entstehen kann, müssen Stickoxide (primär aus Verkehrsabgasen) und/oder flüchtige organische Verbindungen (Lösungsmitteldämpfe, Benzindämpfe) vorhanden sein. Ist das Wetter windarm bis windstill und zugleich sonnig, dann kann sich die Konzentration dieser Schadstoffe stark erhöhen. Unter dem Einfluss intensiver Sonnenstrahlung laufen anschliessend sehr komplexe chemische Rektionen ab, welche zur Bildung von Ozon führen. Ozon ist chemisch sehr reaktiv, also ein aggressives, stark oxidierendes Gas, welches insbesondere die Atemwege angreift.

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UV-Strahlung

Paradoxerweise erfüllt gerade eine Ozonschicht in rund 20 Kilometern Höhe eine äusserst positive Funktion, indem sie als natürliche Sonnenbrille der Erde energiereiche ultraviolette Sonnenstrahlung absorbiert. Durch verschiedene Luftschadstoffe wurde diese Ozonschicht teilweise zerstört, weshalb sich die Intensität der UV-Strahlung an der Erdoberfläche verstärkt hat. Die Intensität der am Erdboden ankommenden Strahlung wird aber auch durch Luftfeuchte und Bewölkung beeinflusst. Mit einer Wetterprognose kann man somit relativ einfach auch eine Prognose der Strahlungsintensität machen. Sie ist deshalb sehr wichtig geworden, weil diese unerwünschte UV-Strahlung Hautkrebs auslösen kann.

Mitte des letzten Jahrhunderts sind zahlreiche Publikationen erschienen, die durch rein statistische Auswertungen eine kaum zu überschauende Zahl von Zusammenhängen zwischen irgendwelchen Wetterphänomenen oder Wetterlagen (die man in verschiedene Klassen einteilen kann) und medizinischen Reaktionen angeblich nachweisen. Oft widersprechen sich die Resultate. Es gibt kaum Untersuchungen, die durch andere Forscher hätten reproduziert werden können. In allen diesen Fällen sind die durch das Wetter bedingten zusätzlichen Effekte sehr gering, und in vielen Fällen muss davon ausgegangen werden, dass sie zufällig sind. Wissenschaftlich gesicherte Zusammenhänge gibt es nur für die vier oben erwähnten Fälle!

Wichtig ist die Feststellung, dass die erwähnten statistischen Analysen nie einen ursächlichen Zusammenhang nachweisen können!

Beispiel: Bringt man die Verkaufsmenge von Himbeereis mit der Häufigkeit von Sonnenbrand in Verbindung, wird man einen gesicherten Zusammenhang finden. Niemand wird aber deshalb auf die Idee kommen, zu behaupten, man bekomme einen Sonnenbrand, wenn man Himbeereis isst.

Sofern verschiedene Forschungsgruppen unabhängig voneinander ähnlich statistische Zusammenhänge finden, wird man eine Hypothese über einen möglichen Wirkungsmechanismus aufstellen. Diese Hypothese muss dann durch weitere Experimente gestützt werden. Falls man widerspruchsfreie Resultate erhält, wird man die Hypothese dann als eine Theorie formulieren.

Der Wetterfühligkeit ein Schnippchen schlagen

  • Spazieren Sie bei jedem Wetter an der frischen Luft.

  • Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung.

  • Lassen Sie ein heisses Bad einlaufen und entspannen Sie sich mit duftenden Badezusätzen aus der Drogerie.

  • Verwöhnen Sie ihren Körper mit einer klassischen Massage.

  • Vermeiden Sie Stress. Entspannungstechniken wie Yoga, Tai-Chi oder Qi-Gong helfen Ihnen dabei.

  • Alternativmedizinische Methoden wie traditionelle chinesische Medizin oder Homöopathie helfen, Ihre Widerstandskräfte zu stärken.

Autor und Redaktion: Didier Buchmann