Schmerzgedächtnis kann vergessen
Menschen mit chronischen Schmerzen sind stark gefordert. Dennoch sind Dauerschmerzen kein unabänderliches Schicksal. Auch ein Schmerzgedächtnis kann vergessen.
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Gemäss der Studie «Pain in Europe» leiden 16 Prozent der Schweizer unter chronischen Schmerzen, im Schnitt seit 7,7 Jahren. 26 Prozent sogar seit über 20 Jahren. Lutz Frank, Schmerzspezialist am Schmerz-Zentrum in Zofingen (AG): «Von chronischem Schmerz spricht man, wenn der Schmerz länger als drei bis sechs Monate andauert.» Dabei seien chronische Rückenschmerzen das Problem Nummer eins, gefolgt von rheumatischen Beschwerden und Kopfschmerzen.
Der Schmerz, der bleibt
Normalerweise sorgt ein körpereigenes Hemmsystem dafür, dass Schmerzen schnell wieder abklingen. Doch es gibt Schmerzen, die bleiben, und das häufig selbst dann, wenn ihr eigentlicher Auslöser längst nicht mehr existiert. Ursache ist das Schmerzgedächtnis. «Dabei kommt es zu Veränderungen am Nervensystem, welches die Schmerzimpulse verarbeitet», sagt Frank. Der ursprüngliche schmale Pfad, der für die Schmerzimpulse zur Verfügung stand, wird durch die jahrelangen starken Schmerzreize sozusagen zu einer mehrspurigen Autobahn ausgebaut. Zusätzlich wird der schmerzenden Körperregion im Laufe der Zeit im Gehirn mehr Platz zur Verfügung gestellt, was als Neuroplastizität (bewegliches Gehirn) bezeichnet wird. Dieser Mechanismus funktioniert sogar dann, wenn der Körperteil, der ursprünglich den Schmerz verursacht hat, nicht mehr funktionstüchtig oder existent ist, etwa nach Amputationen. Dies ist die Erklärung für den lange Zeit rätselhaften Phantomschmerz, bei dem die Betroffenen Schmerzen an der Stelle fühlen, an der ihr amputiertes Bein oder der amputierte Arm gesessen hat. Trotzdem: «Chronische Schmerzen sind kein unabänderliches Schicksal.» Nach einer erfolgreichen Therapie kann sich das Nervensystem normalisieren: «Denn auch ein Schmerzgedächtnis kann vergessen.»
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Schmerzen durch Fehlhaltung
Ein weitverbreitetes Problem von chronischen Schmerzen sind Fehlhaltungen und Verspannungen angrenzender Körperregionen, die zuerst gar nicht vom chronischen Schmerz befallen worden sind. Ausserdem kommt es durch jahrelange Schmerzen zu psychischen Belastungen. «Dazu gehören soziale Isolation, Existenzängste, berufliche und finanzielle Sorgen», so Frank. Moderne Therapiekonzepte sehen daher vor, dass diese Probleme in einem multimodalen Konzept mitbehandelt werden: «Therapiekonzepte, welche ausschliesslich auf Injektionen und Infiltrationen der schmerzenden Region abzielen, sind daher wenig erfolgversprechend.»
Eine umfassende Schmerztherapie beinhaltet je nach Schmerzursache also auch psychologische Massnahmen: «So lernt der Patient in einer Verhaltenstherapie, besser mit den Schmerzen zu leben», gibt der Arzt ein Beispiel.
Redaktion: Katharina Rederer
- Quelle
«Drogistenstern»