Deshalb ist Mama so vergesslich

Schwangere Frauen und stillende Mütter leiden mitunter an Erinnerungslücken. Die gute Botschaft: Die Vergesslichkeit ist harmlos und geht vorbei.

In Internetforen machen sich junge Mütter lustig über ihre Vergesslichkeit: Sie lassen das vorbereitete Lunchpaket zu Hause liegen, verlegen Schlüssel. Oder sie fühlen sich, «als ob ich Watte im Kopf hätte». Alle stillenden und schwangeren Frauen können unter den Erinnerungslücken leiden, die die Medien oft unschön als «Stilldemenz» bezeichnen. Ein Begriff, der Verena Marchand «völlig daneben» erscheint. Sie ist Ausbildungsleiterin Schweiz des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation. «Demenz ist daher falsch», sagt sie, «weil dies ein degenerativer Prozess im Gehirn ist, der nicht mehr rückgängig zu machen ist.» Bei der Vergesslichkeit von Schwangeren und Stillenden hingegen sei das nicht der Fall. Marchand: «Der Zustand löst sich wieder auf.» Für Marchand gibt es verschiedene Erklärungen dafür. Schwangerschaft und Geburt seien «einschneidende Erlebnisse» im Leben einer Frau. Alles drehe sich um das werdende Leben in ihr. Daher würden andere, weniger wichtige Dinge des Alltags in den Hintergrund rücken. Zudem schütze sich der Organismus auch selber, indem er die Intensität der Geburtsschmerzen in der Erinnerung der Frau verblassen lasse. «Es muss etwas im Körper passieren, das Frauen die Kraft gibt, weiter funktionieren zu können.» So habe sie Frauen oft sagen hören, dass sie sich nach der Geburt gefühlt haben, «als ob sie Bäume ausreissen könnten».

Schwangere und Stillende entwickeln Tunnelblick

Was in Gehirnen von Schwangeren und Stillenden geschieht, beschäftigt Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit. So zeigte eine englische Studie aus den 1990er Jahren, dass schwangere Frauen Wörter weniger gut auswendig lernen können als jene, die kein Kind erwarteten. Forscher aus Deutschland und der Schweiz konnten 2007 in einer grossen Übersichtsanalyse nachweisen, dass das Gedächtnis von Frauen kurz vor und nach der Geburt nachlässt. Ulrike Ehlert, Klinische Psychologieprofessorin an der Universität Zürich, hat zu dem Thema geforscht. Sie erklärt: «Zu diesem Zeitpunkt ist auch das vorausschauende Gedächtnis beeinträchtigt.» Dieses bräuchten wir im Alltag, «um Handlungen zu planen und uns an Verabredungen zu erinnern». So könne es passieren, dass die Frauen alltägliche Dinge vergessen, die sonst automatisiert seien, wie zum Beispiel die Haustür abzuschliessen. Wie Verena Marchand glaubt auch Ulrike Ehlert daran, dass Schwangere und Stillende so etwas wie einen «Tunnelblick» entwickeln. Die Mütter seien nach der Geburt vollständig auf die Kinder konzentriert. Ehlert: «Dieser Fokus ist sehr wichtig, weil er das Baby schützt und die enge Bindung zwischen Mutter und Kind fördert.»

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Hormone beeinflussen Gedächtnis

Doch auch Hormone spielen eine wichtige Rolle. «Wenn Stresshormone in der Schwangerschaft dauerhaft erhöht sind, kann sich das auch auf die Gehirnfunktionen auswirken», sagt Ehlert. Dies begünstige Vergesslichkeit. Zu einem erhöhten Hormonspiegel beitragen können laut Ehlert auch Ängste vor der Geburt, Probleme in der Partnerschaft oder im Beruf. Auch das Bindungshormon Oxytocin verstärke vermutlich die Vergesslichkeit.

Als weiterer Faktor kommt Schlafmangel ins Spiel. Mit grossem Bauch schlafen Frauen weniger gut und Neugeborene halten sich oft auch nicht die ganze Nacht über still. Ungestörte Nachtruhe aber ist wichtig, damit sich Kopf und Körper regenerieren können. Ulrike Ehlert rät daher Betroffenen, für einen möglichst guten Schlaf zu sorgen. Dann schütte der Körper weniger Stresshormone aus. Spätestens dann, wenn die Frauen weniger oder nicht mehr stillen, geht laut Ehlert auch die Vergesslichkeit wieder vorüber.

Autorin und Redaktion: Brigitte Jeckelmann