Die Pubertät und das Gehirn
Die eigentlich gravierenden Veränderungen während der Pubertät passieren nicht im Körper, sondern unter der Schädeldecke. Das Teenager-Gehirn wird regelrecht umgebaut.
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Noch bis Mitte der 1990er-Jahre glaubten Fachleute, das Hirn eines Menschen sei mit zwölf Jahren praktisch komplett entwickelt. Falsch! In der Pubertät präsentiert sich das Gehirn wie eine einzige Grossbaustelle. Ein Totalumbau ist im Gang, der mehrerer Jahre dauert. Diese Erkenntnis hat das Verständnis für die Pubertät grundlegend verändert. Fachleute nutzen heute den Begriff Pubertät für die körperlichen Veränderungen, mit Adoleszenz wird die seelische Anpassung an den sich entwickelnden Körper verstanden. In diesem Zusammenhang ist der Kinderpsychiater Dr. Jay Giedd vom «National Institute of Mental Health» (NIMH) in Bethesda (Maryland) einer der herausragenden Pioniere. Er untersuchte über Jahre hinweg die Gehirne von Pubertierenden und kam zu erstaunlichen Erkenntnissen.
Wachstumsschub
Auf seinen Scan-Aufnahmen konnte der Forscher erkennen, dass die graue Substanz des Gehirns in den Jahren vor der Pubertät einen Wachstumsschub erlebt. Vermutlich werden neue Nervenzellen sowie neue Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen gebildet. Das Hirn reift zu einem effizienten Denk- und Kontrollorgan mit wenigen, aber schnelleren Verbindungen heran. Es wird erwachsen und das hat Konsequenzen. Vor allem weil diese Reifung prozesshaft vonstatten geht und die Pubertät so in komplett neuem Licht betrachtet werden muss. Während der Umbauphase organisieren sich die Gehirnabschnitte, die für die Bewegungssteuerung und Wahrnehmung zuständig sind, relativ rasch neu. Länger dauert es in den für Sprache, räumliche Orientierung und zeitliches Orientierungsvermögen zuständigen Gehirnabschnitten. Unpünktliche Teenager lassen grüssen! Doch das ist längst nicht alles.
Spät ins Bett
Die Zirbeldrüse im Hirn produziert das müde machende Hormon Melatonin. In der jugendlichen Wachstumsphase allerdings mit einer täglichen Verspätung von bis zu zwei Stunden, wie Mary Carskadon von der Brown University in Rhode Island herausgefunden hat. Das heisst: Viele Jugendliche werden abends später müde als Kinder und Erwachsene. Und: später wach am nächsten Morgen, da auch der Abbau des Melatonin-Pegels zeitverschoben stattfindet.
Gemäss dem Münchner Psychologie-Professor Till Roenneberg lässt sich das Ende der Pubertät wie folgt erkennen: «Wer freiwillig wieder früh ins Bett geht, ist erwachsen.»
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Nicht ansprechbar
Die letzten Umbauarbeiten machte der US-Forscher Jay Giedd im Präfrontalhirn aus. In jenem Gehirnabschnitt also, wo Entscheidungen gefällt werden. Und diese Rekonstruktionsarbeiten dauern möglicherweise bis weit nach dem 20. Lebensjahr an. Ein Grund, weshalb Teenager in den Augen Erwachsener in vielen Dingen so ganz und gar seltsam ticken. Was in der Erwachsenenwelt logisch erscheint, wird im Pubertätsalter in einen ganz anderen Kontext gesehen und verstanden. Es ist für Jugendliche Gehirne schlicht nicht nachvollziehbar, weshalb man zuerst Hausaufgaben und erst dann zum Fussballspielen verschwinden sollte. Oder weshalb Eltern es nicht witzig finden, dass die Zimmer von Pubertierenden Räuberhöhlen ähneln und es aus allen Ecken müffelt und stinkt. Wo ist das Problem?
Ein weiteres Pulverfass: Kritik, wiederholtes Ermahnen, Wutausbrüche von Eltern und selbst das Androhen bzw. Durchsetzen von Konsequenzen lässt viele Jugendliche komplett unberührt. Auch das könnte mit der Baustelle Hirn zusammenhängen. Denn zwischen dem zwölften und 18. Lebensjahr geht die Geschwindigkeit, mit der Heranwachsende Gefühle von Mitmenschen erkennen können, um bis zu 20 Prozent zurück!
Gefährlich, ach was!
Während Erwachsene ihren präfrontalen Kortex für die Deutung von Gefühlen nutzen, schaltet sich bei Heranwachsenden in Sachen Emotionen vor allem die Amygdala ein. Die Amygdala (der paarweise angelegte «Mandelkern») ist für Instinktreaktionen und Bauchentscheidungen zuständig. Manche Forscher gehen gar davon aus, dass der Frontallappen bei Teenagern nicht immer voll funktioniert. Eine Erklärung dafür, dass Jugendliche oft nicht über die Konsequenzen ihres Tuns nachdenken, bauchgesteuert und impulsiv handeln. Auch ist das Risikoverhalten und in der Folge die Unfallanfälligkeit in diesem Alter erhöht.
Was heisst das nun für Eltern? Die Zusammenhänge verstehen, sollte keinesfalls dazu führen, die Hände in den Schoss zu legen. Pädagogen sind sich einig: Gerade in der Pubertät brauchen Jugendliche starke Eltern, die klar kommunizieren und Grenzen aufzeigen und damit Halt geben. Denn auf Baustellen gibt es bekanntermassen allerhand Fallgruben und Rohbauten, die es gut zu sichern gilt.
Auch die Hormone spielen verrückt
Und als ob die Turbulenzen im Gehirn nicht schon genüg wären, spielen auch noch die Hormone verrückt, die das Bewusstsein, den Körper und das Verhalten radikal verändern. Irgendwann zwischen elf und 14 Jahren wird die Pubertät ausgelöst. Die Frage ist: Wodurch? Zwar sind inzwischen zahlreiche Botenstoffe bekannt, die dem Körper über die Gehirnanhangsdrüse die entscheidenden Signale geben, die Eierstöcke und Hoden mit Hormonen zu stimulieren. Über den genauen Mechanismus rätseln Forscher allerdings nach wie vor. Bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang ein «Pubertätsgen». GPR54 auf dem Chromosom 19 löst eine Kettenreaktion aus. Das Protein Kisspeptin stimuliert zunächst den GPR54-Rezeptor. Darauf folgt die Ausschüttung des Hormons GnRH, das die Hypophyse zur Herstellung von Hormonen anregt, die wiederum zur Produktion von Sexualhormonen und damit zur Geschlechtsreifung führen. Bei Jungen ist es das Testosteron, bei Mädchen das Östrogen.
Neben den Hormonen spielen beim Auftakt in die Pubertät weitere Faktoren eine wichtige Rolle. Zum Beispiel das Gewicht: Bei Kindern, die untergewichtig sind oder Leistungssport treiben, setzt die sexuelle Reifung besonders spät ein. Übergewicht hingegen kann schon Neunjährige in die Pubertät katapultieren. Verantwortlich dafür scheint der im Fettgewebe hergestellte Botenstoff Leptin zu sein. Er löst zwar die Pubertät nicht aus, aber begünstigt sie.
- Quellen
«Drogistenstern»