Manuelle Lymphdrainage & komplexe physikalische Entstauungstherapie

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1. Definition

Ziel der manuellen Lymphdrainage und der komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE) ist es, im Gewebe angestaute Flüssigkeit zum Abfliessen anzuregen. Durch die langsamen, rhythmischen Griffe wirkt sie dämpfend auf den Sympathikus (Teil des vegetativen, unwillkürlichen Nervensystems) und somit stark entspannend, beruhigend und schmerzlindernd. Ihre Drainagewirkung unterstützt zudem das Immunsystem.

2. Philosophie

Die manuelle Lymphdrainage muss fein, rhythmisch, schmerzfrei und langsam ausgeführt werden.

3. Plausibilität des Konzepts

Via Blutkreislauf werden unsere Körperzellen mit Nährstoffen zum Beispiel Sauerstoff und Vitaminen versorgt und umgekehrt Abfallstoffe wie Schlacken und Kohlendioxid abgeführt. Bei diesem Stoffaustausch gelangt auch Blutplasma in das Zwischenzellgewebe. Rund 90 Prozent dieser Flüssigkeit und ein Teil der Stoffwechselprodukte werden von den Blutkapillaren wieder aufgesaugt. Die restlichen zehn Prozent bilden zusammen mit den liegengebliebenen Schlackenstoffen, aber auch mit Zelltrümmern, Eiweiss, Bakterien und Viren die sogenannte lymphpflichtige Last, das heisst diese Stoffe samt Restflüssigkeit müssen über das Lymphgefässsystem abtransportiert und über die Blutgefässe abgeleitet werden.

Das Lymphgefässsystem überzieht wie ein feines Netz unseren Körper. Es beginnt in den Zwischenzellräumen mit fingerähnlichen Ausstülpungen und bildet dort aus der lymphpflichtigen Last die Lymphe. Die Lymphe wird über die Lymphkapillaren, Präkollektoren, Kollektoren und Lymphknoten den Lymphstämmen zugeführt. Von dort gelangt sie zwischen oberer Hohlvene und Herz, im sogenannten Venenwinkel, wieder zurück in den Blutkreislauf. Bei gesunden Erwachsenen sind das etwa zwei bis vier Liter Lymphe pro Tag.

Sobald das Lymphgefässsystem seine oben beschriebene Aufgabe nicht mehr erfüllen kann, entsteht ein Lymphödem: es sammelt sich sicht- und tastbar Flüssigkeit im Gewebe und bildet eine Schwellung. Man unterscheidet primäre und sekundäre Lymphödeme. Ersteres beruht auf einer angeborenen Schwäche oder Missbildung des Lymphgefässsystems und tritt meist bei der Hormonumstellung in der Pubertät auf. Das sekundäre Lymphödem ist immer durch äussere Einflüsse verursacht, das heisst es wurden Lymphbahnen unterbrochen durch Entzündungen oder mechanische Schädigung wie Knochenbrüche, Verbrennungen, Infektionen durch Bakterien oder Pilze, Bestrahlung und Operationen mit Entfernung von Lymphknoten, zum Beispiel bei Brust- und Prostatakrebs.

Das eiweissreiche Ödem wird im Laufe der Zeit durch Körperzellen verändert. Es kommt im weiteren Verlauf zur Bindegewebevermehrungen, die sich ohne Behandlung früher oder später verhärten.

4. Belege für die Wirksamkeit

Die manuelle Lymphdrainage ist eine vom dänischen Physiotherapeuten Emil Vodder und seiner Frau von 1932-1936 entwickelte Behandlungsmethode. Sie ist eine manuelle Behandlungstechnik, mit der die Gewebsflüssigkeit innerhalb des Lymphgefässsystems weitergeleitet und verschoben werden kann. Mit den Händen wird die Haut über dem darunter liegenden Gewebe rhythmisch verschoben. Die manuelle Lymphdrainage basiert auf den vier sogenannten Vodder-Grundgriffen: stehender Kreis, Drehgriff, Pumpgriff und Schöpfgriff. Der Bewegungsablauf dieser vier Griffe verläuft nach einem gemeinsamen Grundschema. Man unterscheidet zwischen Schub- und Entspannungsphase. Mit diesen Griffen wird die Lymphmotorik angeregt und somit vor allem die Pumpleistung der Lymphgefässe verbessert. Auch die aktive Verschiebung von Flüssigkeit in der Haut/Unterhaut ist möglich. Prof. Michael Földi und Prof. Hans Mislin wiesen später vonseiten der Lymphologie die Wirkungsweise und Wirksamkeit der manuellen Lymphdrainage nach.

5. Anwendung

Die Anwendungsweise der manuellen Lymphdrainage ist breit gefächert. Sie dient vor allem als Ödem- und Entstauungstherapie geschwollener Körperregionen wie des Körperstamms und der Arme und Beine. Mit dieser Massnahme werden sowohl primäre wie sekundäre Lymphödeme behandelt.

Die manuelle Lymphdrainage eignet sich auch zur Behandlung verschiedenster akuter und chronischer Krankheitsbilder. Weitere Indikationen sind sämtliche orthopädischen und traumatologischen Erkrankungen die mit einer Schwellung einhergehen, wie etwa Verrenkungen, Zerrungen, Verstauchungen und Muskelfaserrisse. Auch bei Verbrennungen, Schleudertrauma, Morbus Sudeck und ähnlichen Krankheitsbildern kommt die Methode zur Anwendung.

Bei ausgeprägten lymphatischen Erkrankungen wie Stauungen wird diese Therapie mit Kompressionsverbänden, Hautpflege und spezieller Atem- und Bewegungstherapie kombiniert und unter dem Begriff komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) zusammengefasst.

6. Selbstbehandlung

Die manuelle Lymphdrainage ist nicht zur Selbstbehandlung geeignet. Trotzdem ist es möglich, unter Anleitung des Therapeuten das Lymphsystem zum Beispiel mit Atem- und Bewegungsübungen sowie der sanften Aktivierung bestimmter Lymphknotengruppen zu unterstützen und anzuregen. Ebenfalls werden Patientinnen und Patienten über das korrekte Verhalten im Alltag instruiert. Im Weiteren ist bei der komplexen physikalischen Entstauungstherapie die Anleitung zur Selbstbandage Bestandteil der Therapie.

7. Anwender und ihre Ausbildung

Die manuelle Lymphdrainage wird von speziell dazu ausgebildeten Therapeutinnen und Therapeuten angewendet. Zu ihrem Fachwissen gehören fundierte Kenntnisse über Indikationen, Kontraindikationen und Komplikationen sowie über unterstützende Massnahmen wie eine sanfte Bewegungstherapie, Atemübungen und das korrekte Verhalten im Alltag. Voraussetzungen für die Ausbildung sind eine medizinische Grundausbildung oder mindestens 150 Stunden schulmedizinisches Basiswissen (Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie). Die berufsbegleitende Fachausbildung besteht aus 180 Stunden, aufgeteilt in Module.

Der Schweizerische Fachverband für Manuelle Lymphdrainage (SFML) ist seit seiner Gründung 2001 gesamtschweizerisch tätig. Er setzt sich für die Erhaltung der Qualität und Weiterentwicklung der Therapie ein und unterstützt die Anliegen der Patienten und praktizierenden Therapeuten.

Der SFML setzt sich weiter für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten, Kliniken und weiteren Fachpersonen ein. Im Sinne der Qualitätssicherung werden jährlich fachspezifische Weiterbildungen verlangt und vom Fachverband kontrolliert. Neue Erkenntnisse zur Therapieform und zur Behandlung von Krankheiten werden regelmässig kommuniziert.

8. Behandlung und Ablauf

Nach einem ausführlichen Erstgespräch – um eventuell vorhandene Vorerkrankungen und die aktuellen Beschwerden zu eruieren – erstellt die Therapeutin oder der Therapeut den Behandlungsplan. Eine Behandlung dauert in der Regel eine Stunde. Sie wird der Lymph- und Gesundheitsproblematik angepasst und auf die individuelle Situation abgestimmt. Die Anzahl und Häufigkeit der Sitzungen orientiert sich am Krankheitsbild und am Heilungsprozess.

Der Patient legt sich dafür auf die Behandlungsliege und wird zugedeckt. Er soll bequem liegen und nicht frieren, damit einer entspannenden Behandlung nichts im Wege steht. Die manuelle Lymphdrainage beginnt immer am Hals. Dort wird der sogenannte Terminus, der Ort, wo das lymphatische System in das venöse System mündet, freigemacht. Nach der Öffnung des Terminus und – sofern möglich – der Behandlung des Bauches, wird von proximal (körpernahen Regionen) nach distal (körperfernen Regionen) gearbeitet. Das heisst, der Therapeut arbeitet sich langsam in das betroffene Gebiet vor. Allfällige Narben werden in die Behandlung mit einbezogen. Nach der Behandlung sollte sich der Patient noch etwas ausruhen und liegen bleiben. Die manuelle Lymphdrainage wirkt noch einige Zeit nach der eigentlichen Behandlung nach und regt das System weiter an. Deshalb sollte in dieser Zeit auf

9. Grenzen und Risiken

Die manuelle Lymphdrainage darf nicht angewendet werden bei dekompensierter Herzinsuffizienz, akuten Entzündungen, die durch pathogene Keime verursacht werden (z. B. Bakterien, Pilze, Viren), einer Überfunktion der Schilddrüse, bei tiefer Beinvenenthrombose und bei unklarem Tumorstatus.

10. Praktische Tipps

Eine gute Hautpflege ist die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung. Es gilt, eine unnötige zusätzliche Schädigung der Lymphbahnen zu vermeiden. Daher empfiehlt es sich, keine Akupunktur, Injektionen oder Blutdruckmessungen an den betroffenen Extremitäten zuzulassen, Insektenstichen vorzubeugen, zu grosse Hitze oder Kälte zu meiden, keine schweren Lasten zu tragen. Ausserdem sollten Patienten vor und nach der Behandlung eine Überstrapazierung etwa durch Kampfsportarten vermeiden, sich ausgewogen ernähren und die betroffenen Gliedmassen häufig hochlagern.

11. Zahlt die Krankenkasse?

Viele Krankenkassen leisten einen Beitrag an die Behandlungskosten im Rahmen ihrer Zusatzversicherungen, sofern die Therapeuten anerkannt sind. Nähere Informationen erhalten Sie direkt bei Ihrer Krankenkasse.

Redaktion: Franziska Linder, Katharina Rederer
Quellen