Depression

Herbstblues oder Depression?

Bei vielen sinkt im Herbst und Winter die Laune wie die Temperaturen. Ein Stimmungstief ist typisch für diese Zeit. Doch was, wenn es sich um eine ernsthafte Depression handelt? Psychiater Patrick Germann beantwortet 9 Fragen.

Bei vielen ist im Herbst und Winter die Stimmung am Boden. Einfach ein «Blues»? Oder gar eine Depression? Psychiater Patrick Germann, Leitender Arzt des Zentrums für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich, erklärt die Unterschiede und was hilft.

Herbst-, Winterblues oder Depression. Was sind die Unterschiede?

Saisonale Depression: Ein sogenannter «Herbst-» oder «Winterblues» ist eine saisonal abhängige Depression. Sie tritt im Herbst und Winter auf. Oft ist dann das Schlafbedürfnis erhöht und Betroffene haben vermehrt Appetit auf Kohlenhydrate.

Depression: Eine Depression ist eine psychische Krankheit. Nach einer umfangreichen Untersuchung stellt der Arzt die Diagnose. Typische Hauptbeschwerden sind gedrückte Stimmung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, ängstliche Unruhe und Verlust von Interesse und Freude. Zusätzlich sind Schlaf- und Appetitstörungen, Konzentrationsprobleme, Minderwertigkeits- und Schuldgefühle häufig oder gar Suizidgedanken. Die Beschwerden unterscheiden sich je nach Person beträchtlich. Auch hinter körperlichen Beschwerden oder häufiger Gereiztheit kann sich eine Depression verbergen.

Ab und zu traurige, antriebslose Zeiten sind normal. Oder?

Traurige Phasen im Leben, vor allem nach Verlusterlebnissen, sind normal. Dauert ein Stimmungstief mindestens zwei Wochen und kommen beispielsweise innere Leere, Interessensverlust, Angstzustände oder Schlafstörungen hinzu, liegt eine Depression vor. Dann sollten Betroffene unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

Was verursacht ein saisonales Tief / eine Depression?

Saisonale Depression: Die Ursache einer saisonalen Verstimmung ist Lichtmangel im Herbst und Winter. Dadurch gerät der Stoffwechsel der Botenstoffe Melatonin und Serotonin aus dem Gleichgewicht. In der Schweiz kommt es bei etwa jeder zehnten Person zu einem Winterblues. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Mehr über die Ursachen eines saisonalen Stimmungstiefs lesen Sie hier.

Depression: Die Krankheit kann jeden treffen. Also auch Menschen in glücklichen Partnerschaften und guten beruflichen Verhältnissen. Eine Depression ist überhaupt nicht Ausdruck persönlichen Versagens oder Schwäche. Die Krankheit auslösen kann das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, besonders von biologischen Gegebenheiten (z.B. genetische Veranlagung) sowie von psychosozialen Faktoren (z.B. belastende Ereignisse). Die Krankheit kann schleichend oder plötzlich auftreten. Das Risiko, im Leben an einer Depression zu erkranken, schätzen Experten auf 15 bis 17 Prozent. Frauen sind von Depressionen doppelt so häufig betroffen wie Männer. Es ist aber möglich, dass die Krankheit bei Männern seltener erkannt wird, weil sie sich weniger häufig in Behandlung begeben. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei zirka 30 Jahren. Ein Viertel der Betroffenen erkrankt vor 18, ein weiterer Viertel zwischen 40 und 75 Jahren.

Wie erkennen Eltern bei einem Kleinkind eine Depression?

Anzeichen für eine Depression bei einem kleinen Kind sind, wenn es häufiger weint als andere Kinder, oft sehr gereizt und ängstlich ist, ungern spielt und an Ein- und Durchschlafstörungen leidet. Im Alter von 7 bis 12 Jahren können ständige Traurigkeit, Zukunftsangst, Appetitverlust, Schlafstörungen oder Suizidgedanken auf eine Depression hinweisen.

Wie lange dauert ein saisonales Tief / eine Depression?

Saisonale Depression: Eine saisonale Depression beginnt im Spätherbst/Winter und bessert in der Regel im Frühling, wenn die Tage wieder länger werden.

Depression: Eine depressive Episode dauert bei jedem Betroffenen individuell verschieden lang, unbehandelt durchschnittlich drei bis zwölf Monate. Die richtige Therapie kann eine Depression aber stark verkürzen und das Risiko eines Rückfalls verringern. Nach einer ersten depressiven Episode erleiden etwa 50 Prozent eine zweite Episode, mit jeder weiteren Episode steigt das Risiko für einen weiteren Rückfall. Bei rund 20 Prozent der Patienten wird die Krankheit chronisch.

Was hilft bei einem saisonalen Tief / einer Depression

Saisonale Depression: Licht führt bei 60 bis 90 Prozent der Betroffenen innert zwei bis drei Wochen zu einer Besserung. Die einfachste Massnahme ist täglich ein einstündiger Spaziergang über Mittag, denn sogar bei einem bedeckten Himmel hat es genug Licht, um einen antidepressiven Effekt auszulösen. Alternativ helfen spezielle Therapielampen.

Depression: Die Behandlung hängt von Schweregrad und Verlauf der Krankheit ab. In der Regel umfasst sie eine ambulante Psychotherapie und bei Bedarf Antidepressiva. Regelmässige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung sind weitere Bestandteile. Wirkt das alles nicht und besteht das Risiko eines Suizids, kann eine stationäre Behandlung notwendig sein. Durch eine möglichst frühzeitige Therapie ist es möglich, die Krankheit schneller unter Kontrolle zu bringen und die Gefahr einer erneuten depressiven Episode zu reduzieren.

Wer ist eine gute erste Anlaufstelle bei psychischen Problemen?

Der Hausarzt. Er kann Patienten bei Bedarf an einen Psychiater weitervermitteln. Ein Psychiater oder ein Psychotherapeut sind ebenfalls eine geeignete erste Anlaufstelle. Ist dies nicht möglich, erhalten Hilfesuchende unter der Telefonnummer 1811 Auskunft zum diensthabenden Notfall-Arzt. Zudem ist das Sorgentelefon «Dargebotene Hand» rund um die Uhr unter der Telefonnummer 143 erreichbar – oder per E-Mail oder Chat. Auf der Internetseite der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD), www.sgad.ch finden Hilfesuchende weitere Anlaufstellen.

Kann man einem saisonalen Tief / einer Depression vorbeugen?

Saisonale Depression: Ja. Am besten täglich raus gehen an die frische Luft, um Tageslicht zu tanken. Auch bei schlechtem Wetter.

Depression: Das ist schwierig zu sagen. Günstig auf die Gesundheit auswirken können sich ein sorgsamer Umgang mit sich selbst und der eigenen Umgebung: Zum Beispiel die Pflege von sozialen Beziehungen vermittelt das Gefühl, gebraucht und unterstützt zu werden. Zu einem gesunden Lebensstil gehören Entspannungsphasen, regelmässige Bewegung, eine gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf. Wichtig sind zudem Aktivitäten, die Freude bereiten.

Was können Angehörige tun?

Menschen mit einer Depression fällt es oft schwer, alltägliche Dinge in Angriff zu nehmen oder Entscheidungen zu treffen. Angehörige können versuchen, die betroffene Person zu motivieren, sich professionell behandeln zu lassen. Werden Angehörige in die Behandlung miteinbezogen, ergeben sich oft Möglichkeiten zur Hilfe. Auch wer sich gut über die Krankheit informiert, hat mehr Verständnis für die Situation des Betroffenen.

Manchmal brauchen aber auch Angehörige Hilfe. Gefühle wie Hilflosigkeit, Trauer, Wut, Ungeduld oder Schuld sind oft sehr belastend. Sehr wertvoll sind Selbsthilfegruppen. Informationen zu aktuellen Angeboten liefert die Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression.

Patrick Germann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Leitender Arzt am Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ) und Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression SGAD.

Autorin und Redaktion: Vanessa Naef
Quellen
  • Patrick Germann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Leitender Arzt am Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ)