So trainieren Sie die Faszien

Faszientraining soll Verspannungen lösen und die Beweglichkeit verbessern. Doch was genau sind eigentlich Faszien und weshalb ist es wichtig, sie geschmeidig zu halten?

Faszien – das klingt irgendwie attraktiver als Bindegewebe. Eigentlich ist es aber das Gleiche, sagt der deutsche Faszienforscher Robert Schleip. «Es handelt sich dabei um die milchfarbene, straffe Hülle, die unsere Muskeln umhüllt, und die wir etwa bei rohem Pouletfleisch gut erkennen.» In der Küche werden diese unliebsamen fasrigen Sehnen vor dem Anbraten gerne weggeschnitten.

Robert Schleip

Dr. Robert Schleip forscht als Humanbiologe an der Universität Ulm und der Technischen Hochschule München. Er gilt als einer der weltweit führenden Faszienforscher und hat zahlreiche Fachpublikationen und Bücher in diesem Bereich veröffentlicht.

Stabilisation und Schutz für Muskeln und Organe

Im eigenen Organismus hingegen möchte Robert Schleip die Faszien nicht missen. Das Bindegewebe umhüllt, schützt und stabilisiert die Muskeln und alle wichtigen Organe. Der Herzbeutel beispielsweise ist auch eine Faszie, die für die Schlagkraft des Herzens mitverantwortlich ist. Umso wichtiger sei es, dem faszialen Gewebe mehr Beachtung zu schenken. «Ich nenne es auch gerne das ‹Aschenputtel-Organ›, denn über viele Jahrhunderte hat man es in der Forschung vernachlässigt.» Schleip vergleicht die marginale Bedeutung, die den Faszien lange Zeit entgegengebracht worden ist, als ähnlich nebensächlich wie jene von Geschenkverpackungen. Aber: Anders als bei Geschenkverpackungen verändert sich die Funktion der Muskeln signifikant, wenn man die Faszien entfernt; sie wirken dann auf weitaus weniger Gelenke ein als mit der faszialen Hülle.

«Ganz wichtig ist die Plantarfaszie an der Fusssohle. Dank ihrer Kraftübertragung können wir überhaupt gehen.» Im Labor fand er noch mehr Erstaunliches heraus: Da die Faszien sehr intensiv mit dem autonomen Nervensystem verbunden sind, können sie sogar die Psyche beeinflussen.

Funktion von Faszien

Der Begriff «Faszien» leitet sich vom lateinischen «fascia» (Binde, Band, Bandage) ab. Die Faszien befinden sich fast überall im Körper, in Knorpeln, Knochen, Gelenken, Sehnen, Muskeln, Organen und auch unter der Haut und im Rückenmark. Da die Faszien miteinander verknüpft sind, bilden sie ein feinmaschiges Geflecht, das Muskeln, Knochen, Organe usw. umhüllt und durchdringt. Ohne Faszien verlören die Muskeln ihre Form, die Knochen ihren Halt und die Organe würden frei im Körperinnern herumpurzeln. Faszien organisieren auch die Kraftübertragung der Muskeln und geben Struktur und Halt. Etwa 18 bis 23 Kilogramm an Faszien befinden sich im Körper eines erwachsenen Menschen.

Bewegung löst verklebte Faszien

Mehr als gute Gründe, sich um seine Faszien zu kümmern. Wer richtig trainiert, sorgt dafür, dass sie gut durchblutet, befeuchtet und mit anderen Organen verbunden bleiben. Ist alles im Fluss, steigert dies das Wohlbefinden, sagt Schleip. Oder anders ausgedrückt: «Wer sich nicht bewegt, verklebt.»

Faszientraining

Aber was bedeutet Faszientraining? «Ein Purzelbaum einmal die Woche ist super. Also den Rücken mal richtig rund machen. Damit werden zwei wichtige Faszien im Rücken mobilisiert.» Ausserdem hüpfen, hangeln, klettern, schwingen, balancieren, tanzen und sich wieder einmal richtig verbiegen. «Viele spüren ihre Beweglichkeitseinbussen, wenn sie mit Kindern spielen: Im Schneidersitz auf den Boden zu sitzen, ist mühsam oder gar nicht möglich. Bei der Vorwärtsbeuge mit gestreckten Beinen den Boden berühren? Eine Herausforderung. Da kommen einige Erwachsene an ihre Grenzen.»

Zwei einfache Übungen für zu Hause

Katzenräkeln und Katzenstrecken

Dehnen Sie sich im Vierfüsslerstand mit einem möglichst langen Katzenbuckel. Der Kopf neigt nach unten, die Sitzbeinknochen ziehen Sie nach hinten. Halten Sie diese Position für ein paar Atemzüge bei und räkeln Sie sich genüsslich in alle Richtungen durch.

Nun wechseln Sie vom Katzenbuckel in den geraden Rücken. Ihre Sitzbeinknochen bilden dabei die Verlängerung der Wirbelsäule, ebenso der Kopf. Der Brustkorb weitet sich. Halten Sie die Position ebenfalls eine gewisse Zeit, räkeln Sie sich und wechseln Sie noch einmal in den Katzenbuckel.

Fusswippe

Wippen Sie im Stehen mit beiden Füssen von der Ferse auf den Vorderfuss. Die Bewegungsimpulse gehen nach vorne und nach oben. Bleiben Sie einen Moment auf dem Vorderfuss stehen und halten Sie die Spannung. Wer es bis auf die Zehen schafft und diese Position halten kann, kräftigt die Verlängerung der Achillessehnen. So lange bleiben, bis die Muskulatur erschöpft ist.

Wer seine Faszien mit Training geschmeidig und elastisch hält, gewinnt wieder mehr Beweglichkeit zurück und kann – so vermutet Robert Schleip – Gelenkdegenerationen und -schäden vorbeugen. Gerade bei eher untergenutzten Gelenkbereichen wie den Hüften verfilzen und degenerieren die Faszien mit der Zeit. Also bewegen, dehnen, schwingen. Ein weiterer Tipp: Im Schwimmbecken üben, dort gelingen Bewegungen leichter. Auch Yoga oder Pilates bieten gute Übungen, um die Faszien zu trainieren.

Überlastungsschäden vermeiden

«Es braucht einfach etwas Durchhaltevermögen und Geduld: Während sich Muskeln in ein paar Wochen aufbauen lassen, braucht es bei verklebten Faszien eher Monate, um Verspannungen zu lösen.» Den Bewegungsradius also möglichst weit und abwechslungsreich gestalten, aber es dabei auch nicht übertreiben. «Sonst kann es zu schmerzhaften Überlastungsschäden kommen», sagt Robert Schleip.


Autorin: Denise Muchenberger
Redaktion: Bettina Epper
Wissenschaftliche Kontrolle: Dr. phil. nat. Anita Finger Weber
Quellen
  • Drogistenstern

  • Dr. Robert Schleip

  • Divo G. Müller, Karin Hetzer: «Training für die Faszien», Südwest Verlag, 2015