Vollmond: Mythen und Fakten
Viele Menschen schwören auf Monddiäten, Mondhaarschnitte oder sind überzeugt: Bei Vollmond kommen mehr Kinder auf die Welt. Was ist dran?
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Basler Forscher haben erste Hinweise dafür entdeckt, dass der Vollmond tatsächlich einen Einfluss auf den Schlaf hat. Wir sind möglicherweise von einer Art inneren Monduhr gesteuert. Doch viele Menschen glauben fest daran, dass der Mond ganz direkt auf ihr Leben wirkt, nicht indirekt über eine innere Uhr. Wissenschaftlichen Untersuchungen halten diese Vorstellungen aber nicht stand.
Wie kann der Mond uns beeinflussen?
Der Soziologe Dr. Edgar Wunder von der Universität Heidelberg hat sich intensiv mit dem Thema Mond und Vollmond befasst. Er hat unzählige Studien ausgewertet und selber durchgeführt. «Es gibt verschiedene Erklärungen für den Einfluss des Mondes auf den Menschen»:
Innere Uhr. Die innere Uhr, auch biologische Uhr oder Zirkadian-Uhr genannt, kontrolliert viele Prozesse wie Schlaf, Körpertemperatur, Blutdruck, Hormonausschüttung oder Verdauung. Das passiert ganz unabhängig davon, wo sich der Mensch befindet. In einem lichtdichten, schallisolierten Bunker läuft das genetische Programm der inneren Uhr genauso ab wie auf einer hellen Waldlichtung, am Nordpol oder im südamerikanischen Dschungel. Der Mensch wird nach einer bestimmten Zeit müde, er bekommt Hunger, sein Magen verdaut usw. Diese Erklärung nimmt den Mond an sich aus dem Spiel. Es ist nicht der grosse, geheimnisvolle Himmelskörper, der uns steuert, es sind unsere eigenen Gene. Für den modernen Menschen scheint der Nutzen einer solchen Monduhr eher gering, doch das könnte einst anders gewesen sein, wie die Basler Chronobiologin Dr. Silvia Frey sagt: «Es kann durchaus sein, dass es früher für den Menschen nützlich war, in Vollmondnächten nicht so tief zu schlafen.» Anders gesagt: Höhlenmenschen, die bei Vollmond aufpassten, wurden nicht vom Löwen oder Bären gefressen und konnten ihr Erbmaterial weitergeben. So abwegig ist das nicht, denn eine Studie belegt, dass in Ostafrika bei Vollmond mehr Menschen von Löwen gebissen werden als in anderen Nächten. Der Grund: Die Löwen sehen bei Vollmond besser.
Die selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn jemand daran glaubt, dass er schlecht schläft bei Vollmond, dann wird er auch schlecht schlafen. So beeinflusst der Mond den Schlaf ziemlich direkt.
Die Marionetten-Hypothese. Das ist die Vorstellung, dass wir Menschen wie an Fäden am Mond hängen und von diesem ferngesteuert werden. Edgar Wunder: «Diese These vertritt allerdings niemand, der wissenschaftlich ernsthaft unterwegs ist.»
Die Gravitation. Manche vermuten, die Gravitation (Anziehung) oder Schwerkraft des Mondes sei schuld. Doch diese ist so schwach, dass sie ganz sicher keinen Einfluss auf uns Menschen haben kann. Wunder: «Ein vorbeifahrendes Auto hat mehr Gravitation als der Mond.»
Das Licht. Schlafforscher sagen, dass die Lichtreize des Mondes zu schwach sind, um Einfluss auf den Schlaf zu nehmen. Dr. Wunder: «Im Tierreich gibt es aber einige Beispiele, in denen das Licht das Verhalten der Tiere beeinflusst.» Er nennt gewisse Feldmausarten, die in Vollmondnächten länger in ihren Höhlen bleiben. Das tun sie, weil sie von Fressfeinden in hellen Vollmondnächten eher gesehen werden und damit das Risiko, gefressen zu werden, steigt. Und viele Fische orientieren sich an den Gezeiten, die bekanntlich von der Anziehung zwischen Erde und Mond gesteuert sind. «Sogar im Aquarium ändern sie ihr Verhalten nicht. Sie leben immer noch nach dem Rhythmus der Gezeiten.» Dr. Frey erwähnt ergänzend eine Echsenart auf den Galapagosinseln. «In Vollmondnächten ziehen sie früher zur Nahrungssuche als sonst. Das ist sehr sinnvoll, denn bei Ebbe liegen Algen frei, die ihnen als Nahrung dienen. Dank ihres dem Mondrhythmus angepassten Verhaltens haben sie einen Vorteil gegenüber anderen Tieren, die dasselbe Futter brauchen.»
Abnehmen und zunehmen im Takt des Mondes
Es gibt also zahlreiche Beispiele, wie der Mond für das Leben von Tieren oder Menschen eine wichtige Rolle spielen kann. Es gibt jedoch noch viele mehr, bei denen er es nicht tut. Die Grundidee ist oft dieselbe: Was zunehmen soll, hängt mit dem zunehmenden Mond zusammen; was abnehmen soll mit dem abnehmenden Mond. Also zum Beispiel sollten Diäten bei abnehmendem Mond begonnen werden, Haarpflege für dichteres Haar bei zunehmendem.
Umfrage
Es gibt unzählige Beispiele, was der (Voll)mond alles bewirken soll. Hier eine Auswahl. Der Mond beeinflusst:
das Haarwachstum
die Aufnahmebereitschaft der Haut für Nährstoffe
Diäten
das Risiko für Narbenbildung
die Schmerzempfindlichkeit
die Geburtenrate
die Qualität von Holz
politische Wahlen
den Ausgang von Fussballspielen
die Selbstmordrate
Verkehrsunfälle
Einweisungen in psychiatrische Anstalten
Anrufe bei der Telefonseelsorge
Verbrechen
die Fruchtbarkeit
das Wachstum von Pflanzen
die Milchleistung von Kühen
...
Mondeinfluss: Statistisch nicht beweisbar
Dr. Wunder räumt auf mit solchen falschen Vorstellungen: «Historisch gesehen sind die meisten gar nicht so alt. Etwa die Idee, dass bei Vollmond mehr Kinder geboren werden.» Das ist erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet. «Die älteste Quelle, die ich gefunden habe, datiert um 1880 herum.» Auch im «Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» aus den 1930er-Jahren, das dem Mond immerhin rund 50 Seiten widmet, steht nichts über steigende Geburtenraten bei Vollmond. Breit gestreut wurde die Vorstellung erst in den 1960er-Jahren. «Ein amerikanischer Psychologe hat ein Buch über den Effekt des Mondes geschrieben und das darin erwähnt. Alle anderen haben später von ihm abgeschrieben. Statistische Auswertungen zeigen: Es ist nichts dran an der Sache.»
Zweifelhaft ist auch der Gedanke, dass Dinge, die abnehmen sollen, bei abnehmendem Mond, und Dinge, die zunehmen sollen, bei zunehmendem Mond getan werden sollten. Wunder: «Das ist schon im Mittelalter oder sogar noch früher so von den Menschen geglaubt worden.» Aber: Wenn ich krank bin, soll ich dann beim zunehmenden Mond gesund werden (Gesundheit nimmt zu) oder bei abnehmendem Mond meine Krankheit bekämpfen (Krankheit nimmt ab)? Etwas grundsätzlich Schlechtes seien solche Vorstellungen aber nicht: «Glaube muss nicht wissenschaftlich bewiesen sein, um dem Menschen etwas zu nützen. Wenn es jemandem im Alltag hilft, an den Einfluss des Mondes zu glauben, dann soll er das tun.» Schliesslich spiele es keine Rolle, ob das Radieschen gut wachse, weil der Mond scheint oder weil sich einfach jemand liebevoll darum kümmert.
Autorin und Redaktion: Bettina Epper
- Quellen
Drogistenstern
Universität Basel
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
swissmom
Süddeutsche Zeitung
The Skeptic's Dictionary
Tagesspiegel