Herzforschung
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Diagnose, Behandlung und Rehabilitation auf Männer fokussiert. Mit fatalen Folgen: Frauen sterben häufiger an Herzinfarkten als Männer. Prof. Dr. med. Catherine Gebhard forscht am Universitätsspital Zürich nach den Gründen.
Frau Prof. Gebhard, ich habe kürzlich gehört, dass Frauen vor der Menopause keinen Herzinfarkt bekommen können. Stimmt das?
Prof. Dr. med. Catherine Gebhard: Nein, das stimmt nicht. Neue Studien aus den USA und Frankreich zeigen, dass die Zahl der Herzinfarkte auch bei unter 55-jährigen Frauen seit 10 Jahren ansteigt. Bei den Männern hingegen ist die Zahl gleich geblieben beziehungsweise gesunken.
Warum?
Daran forschen wir. Zusammen mit anderen Kliniken des Universitätsspitals Zürich planen wir aktuell eine Studie mit Frauen zwischen 35 und 55 Jahren, um dem auf den Grund zu gehen. Diese Altersgruppe ist in den bisherigen Herz-Kreislauf-Studien stark unterrepräsentiert und es fehlen Daten und Therapieempfehlungen.
Ich habe auch gelesen, dass mehr Frauen an einem Herzinfarkt sterben als Männer.
Ja, und zwar auch an anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie der Herzinsuffizienz oder dem Schlaganfall. 49 Prozent der Todesfälle bei Frauen sind in Europa auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. Bei Männern sind es 40 Prozent. Besonders hoch ist die Sterblichkeit bei jungen Frauen mit einem Herzinfarkt.
Warum?
Ein Problem ist, dass Frauen länger warten, bis sie Hilfe suchen, und es kommt auch im Spital zu mehr Verzögerungen als bei Männern. Ausserdem gibt es bei der Behandlung öfter Komplikationen. Zum Beispiel haben Frauen häufiger Blutungskomplikationen bei kathetergeführten Interventionen, da beispielsweise die Gefässe von Frauen kleiner und fragiler sind. Der weibliche Organismus verstoffwechselt ausserdem Medikamente anders als der männliche, was ihre Wirkung beeinträchtigen kann. Und schliesslich nehmen Frauen seltener eine Rehabilitation in Anspruch. Grundsätzlich ist Diagnose, Behandlung und Rehabilitation der Erkrankung auf Männer ausgerichtet. Dasselbe gilt für die Forschung.
Prof. Dr. med. Catherine Gebhard
Prof. Dr. med. Catherine Gebhard ist Oberärztin und Forschungsgruppenleiterin an der Klinik für Nuklearmedizin und am Zentrum für Molekulare Kardiologie der Universität Zürich und forscht im Rahmen ihrer SNF-Professur am Universitätsspital Zürich und an der Universität Zürich zu altersbedingten Veränderungen des weiblichen Herzens.
Was bedeutet das?
Es fängt schon bei den Zellexperimenten im Reagenzglas an. Das Geschlecht jeder Zelle ist durch die Chromosomen festgelegt, aber meistens wird das gar nicht beachtet. Schon bei Tierexperimenten überwiegen dann männliche Tiere, und klinische Studien mit Menschen werden häufig mit Männern durchgeführt. Das hängt auch mit den Kosten zusammen. Sind Frauen dabei, erhöht sich die Variabilität, unter anderem durch zyklusbedingte Hormonschwankungen, was eine höhere Teilnehmeranzahl notwendig macht. Im kardiovaskulären Bereich etwa sind nur 18 bis 24 Prozent Frauen unter den Studienteilnehmern. Das bedeutet, dass Medikamente nicht spezifisch auf den weiblichen Organismus ausgerichtet sind. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat jetzt zumindest dazu aufgerufen, dass die Forschung geschlechterspezifisch sein muss. Bei uns sind wir noch nicht so weit. Gendermedizin ist noch wenig bekannt, auch unter Fachleuten.
Herzinfarkt: Frauen haben andere Symptome
Hat ein Mann einen Herzinfarkt, spürt er in der Regel typische Symptome wie starke Schmerzen im Brustraum, die in verschiedene Körperregionen wie Arme oder Rücken ausstrahlen können. Bei Frauen sind die Anzeichen oft viel weniger deutlich. So können starke Kurzatmigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Druck oder Brennen in der Brust mit Ausstrahlung an Hals, Oberbauch oder Unterkiefer, Schweissausbrüche, ausserordentliche Müdigkeit oder Schwächen einen Herzinfarkt anzeigen. Oft treten bei Frauen mehrere Symptome gleichzeitig auf.
Gendermedizin?
Gendermedizin bedeutet, Krankheiten geschlechtsspezifisch zu erforschen und zu behandeln. Die Kardiologie ist heute auf Männer ausgerichtet, und die Frauen sind benachteiligt. In der Psychiatrie dagegen, etwa bei Essstörungen oder bei der Depression, ist die Behandlung auf Frauen ausgerichtet. Gendermedizin ist ein junges Fach.
Warum forschen Sie in diesem Bereich?
Mir ist vor einigen Jahren aufgefallen, dass es grosse Unterschiede gibt, wie die Herzen von Frauen und Männern altern. Die Gründe dafür möchte ich erforschen.
Welche Unterschiede?
Das weibliche Herz schlägt mit dem Alter immer stärker, das männliche nicht. Warum, wissen wir nicht. Eine Möglichkeit ist, dass männliche Herzmuskelzellen früher absterben, eine andere, dass das vegetative Nervensystem beim alternden Frauenherz eine grössere Rolle spielt. Das heisst, dass die älteren Frauenherzen «gestresster» sind als die Männerherzen. Beispielsweise haben wir festgestellt, dass bei herzkranken Frauen der Teil des Gehirns, der Angst und Emotionen steuert, stärker aktiviert ist als bei gesunden. Bei Männern haben wir nichts dergleichen gefunden. Nun wollen wir erforschen, was dahinter steckt mit dem Ziel, die Behandlung für Frauen zu verbessern, Medikamente zu optimieren und auch die bildgebenden Methoden. Denn auch die Vorhersagewerte unserer diagnostischen Massnahmen sind bei Frauen schlechter als bei Männern.
Wissenschaftliche Kontrolle: Dr. phil. nat. Anita Finger Weber
- Quellen
Drogistenstern
Prof. Dr. med. Catherine Gebhard