Der Tastsinn einfach erklärt
Die Haut ist das grösste Sinnesorgan und zugleich Abgrenzung und Verbindung des Körpers zur Umwelt. In der menschlichen Haut befinden sich etwa 300 bis 600 Millionen Tastsinnesrezeptoren.
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Dank des Tastsinns ist der Mensch immer über die Position seines Körpers im Raum bewusst. Das ist überlebenswichtig. Der Körper muss auf jeden Kontakt mit der Aussenwelt sofort reagieren können. Er muss erkennen, dass er eine heisse Herdplatte berührt oder ein eiskaltes Metallgeländer, um die Hand rechtzeitig zurückzuziehen.
Der Tastsinn ist der einzige Sinn, der sich nicht bewusst abschalten lässt. Ja, er ist der einzige Sinn, ohne den es kein Überleben gäbe. Ein Baby kann taub und blind zur Welt kommen und prächtig gedeihen, ohne Berührung aber bleibt es körperlich und geistig zurück. Auch Geruchs- und Geschmackssinn kann ein Mensch vollständig verlieren und trotzdem überleben. Ohne Tastsinn aber geht das nicht. Kein Wunder, ist der Tastsinn denn auch der erste Sinn, der sich im Mutterleib entwickelt.
Kommunikation mit Taubblinden über Berührungen
Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit kommunizieren sehr unterschiedlich. Eine Möglichkeit ist das Lorm-Alphabet. Bei diesem Handalphabet werden die Buchstaben durch Berührungspunkte und Striche in der Handfläche dargestellt. Üblicherweise wird in die linke Hand der taubblinden Person geschrieben. Ein leichter Schlag auf die besprochene Hand bedeutet «Ende des Wortes», zwei Schläge bedeuten «Ende des Satzes». Ein leichtes Klopfen auf die Hand bedeutet «ja». Eine ausradierende Bewegung bedeutet «nein» oder die Korrektur des «gesprochenen» Wortes. Der Schweizerische Blindenverband bietet mit der App «Lern Lormen» eine Möglichkeit, das Lorm-Alphabet zu lernen. Weitere Informationen unter www.szb.ch/lormapp.
Babys haarige Zeiten
In der 13. bis 16. Schwangerschaftswoche wachsen dem Fötus am ganzen Körper ausser an den Handflächen und den Fusssohlen fünf bis sieben Millimeter lange Haare. Diese Härchen wirken wie Tastantennen. Wissenschaftler vermuten, dass die Bewegung der Haare das Tastsinnsystem anregen und damit auch das Gehirn stimulieren. Etwa in der 30. bis. 32. Schwangerschaftswoche beginnen die Lanugohaare auszufallen. Erst dann wachsen die eigentlichen Körperhaare. Bei manchen Babys ist das Lanugohaar auch noch nach der Geburt vorhanden, es verschwindet aber in den ersten Lebenswochen.
So nimmt man Berührungen wahr
Über die Haut nimmt der Mensch wahr, ob etwas hart, weich, kalt, heiss, glatt oder rau ist, ob eine Berührung schmerzhaft oder angenehm ist. Damit das Gehirn zwischen Informationen über Temperatur, Druck, Berührung oder Schmerz unterscheiden kann, hat der Körper verschiedene spezialisierte Rezeptoren. Eine Berührung spürt der Mensch zuerst durch die Körperbehaarung. Dafür sitzen Haarfollikelrezeptoren in der Lederhaut an den Haarwurzeln.
An unbehaarten Körperstellen wie den Fingerkuppen befinden sich stattdessen sogenannte Meissner-Körperchen, die dieselbe Aufgabe haben. Ein Stoss wird dem Gehirn von den Merkel-Zellen in der Epidermis oder den Ruffini-Körperchen in der Lederhaut gemeldet. Vibrationen empfangen die Vater-Pacini-Körperchen in der Unterhaut und Schmerzsignale werden von freien Nervenenden verarbeitet. Wenn wir frieren, senden die Kälterezeptoren ihre Impulse aus. Zu heisses Badewasser hingegen melden die Wärmerezeptoren. In den Fingerspitzen und auf den Lippen sitzen die meisten Tastrezeptoren.
C-taktile Fasern
Sanfte streichelnde Berührungen können trösten, erregen, beruhigen. Dass Berührungen als angenehm empfunden werden können, liegt an den sogenannten C-taktilen Nervenfasern. Erst vor wenigen Jahrzehnten haben schwedische Forscher dieses Nervenfasernetz beschrieben. Die C-taktilen Fasern kommen dann zum Einsatz, wenn behaarte Haut ganz sanft berührt wird. An den haarlosen Fusssohlen gibt es diese Nerven nicht. Das Besondere ist, dass diese Nervenzellen die Information «sanfte Berührung, das ist schön!» in jenem Teil des Gehirns abliefern, in dem auch Gefühle verarbeitet werden. Wissenschaftler der Abteilung für Medizinische Psychologie des Universitätsklinikums Bonn haben kürzlich mit Kollegen der Ruhr-Universität Bochum und aus Chengdu (China) herausgefunden, dass Menschen, die in ihrer Kindheit missbraucht wurden, solche sanften, langsamen Berührungen als weniger beruhigend empfinden als Personen ohne Misshandlungserfahrung.
Wissenschaftliche Kontrolle: Dr. phil. nat. Anita Finger Weber
- Quellen
Martin Grunwald: «Homo hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können», Droemer Verlag, 2017
René Donzé, Franziska Pfister (Hrsg.): «Die Kraft der Sinne. Wie wir sehen, hören, tasten, riechen, schmecken», Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2016
Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Gabriele Mariell Kiebgis: «Berührung: Warum wir sie brauchen, und wie sie uns heilt», Ullstein Buchverlag, 2018
Studie «Association of Childhood Maltreatment With Interpersonal Distance and Social Touch Preferences in Adulthood», The American Journal of Psychiatry, 2019
Schweizerischer Zentralverein für das Blindenwesen SZB (Hrsg.): «Alphabete zur Kommunikation mit Menschen mit einer Hörsehbehinderung oder Taubblindheit», 2016