Medikamente für Kinder

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das gilt ganz besonders, wenn es um Arzneimittel geht. Dr. Barbara Lardi, eidg. dipl. Apothekerin, erklärt, worauf Eltern besonders achten sollten.

Frau Lardi, es gibt wenig Medikamente speziell für Kinder. Sie bekommen häufig Erwachsenenmedikamente. Ist das nicht gefährlich?

Dr. Barbara Lardi: Gefährlich nicht unbedingt, aber es kann durchaus problematisch sein. Oft ist nicht bekannt, wie rasch ein Wirkstoff vom Kind aufgenommen wird, wie er sich in seinem Körper verteilt, wie schnell er abgebaut wird und ob er überhaupt auf dieselbe Art wirkt wie bei Erwachsenen, weil die entsprechenden Studien an Kindern fehlen.

Trotzdem bekommen Kinder Medikamente für Erwachsene verschrieben?

Ja – mangels Alternativen. Wir können Kindern eine zumindest bei Erwachsenen wirksame Therapie nicht einfach vorenthalten, bloss weil die Studien hierzu fehlen. Wir müssen oder können uns dabei auf teilweise langjährige Erfahrungswerte verlassen. Es gibt einfach noch zu wenige Medikamente, die speziell für Kinder entwickelt wurden oder an Kindern untersucht wurden.

Barbara Lardi

Dr. sc. nat. Barbara Lardi ist eidg. dipl Apothekerin, hat am Institut für Pharmakologie in Zürich doktoriert und war als Apothekerin in öffentlichen Apotheken und im Spital tätig. Sie arbeitet als wissenschaftliche Autorin zu den Fachgebieten Schwangerschaft, Stillzeit und Pädiatrie.

Warum denn?

Damit ein Medikament für Kinder zugelassen wird, muss seine Wirksamkeit und Sicherheit bei Kindern nachgewiesen sein. Nun sind Studien mit Kindern sehr aufwendig. Ausserdem stellen sich bei Studien mit Kindern auch verschiedene ethische Fragen. Es ist also für Pharmafirmen wenig lukrativ, Kindermedikamente zu lancieren.

Umso wichtiger ist es, im Rahmen der Revision des Heilmittelgesetzes in der Schweiz die rechtlichen Grundlagen für eine nationale Datenbank für Kinderarzneimittel zu schaffen, damit vorhandenes Wissen besser genutzt werden kann. In der EU ist seit 2007 die Verordnung für Kinderarzneimittel in Kraft. Diese verpflichtet die Pharmaunternehmen, bei der Entwicklung von Arzneimitteln schon früh an einen möglichen Einsatz bei Kindern zu denken.

Wenn im Beipackzettel eine Angabe zur Dosierung in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht steht, erlaubt das dann Rückschlüsse auf die Verwendung für Kinder und Jugendliche?

Nein. Solange im Beipackzettel nichts angegeben ist, wurde es auch nicht untersucht und sollte daher nicht ohne Fachberatung aus der Apotheke oder vom Kinderarzt bei Kindern angewendet werden.

Tipps zur Verabreichung von Medikamenten

  • Bittere Tropfen nicht verdünnen; der bittere Geschmack bleibt erhalten.

  • Medikamente nicht mit Grundnahrungsmitteln vermischen, da die Gefahr besteht, dass das Kind das Grundnahrungsmittel danach ablehnt.

  • Flüssige Arzneimittel können bei Schwierigkeiten mit der Verabreichung dem Kind mit einer Spritze direkt auf die Wangeninnenfläche gegeben werden.

  • Tabletten mit nach vorne geneigtem Kopf schlucken.

  • Kapseln mit nach hinten geneigtem Kopf schlucken.

  • Zäpfchen mit dem stumpfen Ende voraus einführen, weil es so das Kind weniger stört.

  • Augen- und Ohrentropfen in der Hand auf Körpertemperatur vorwärmen.

  • Nasentropfen im Liegen, Nasensprays in aufrechter Position verabreichen.

Dann können Eltern die richtige Dosierung eines Medikamentes für ihr Kind nicht ohne Weiteres selber berechnen?

Nein, in der Regel nicht. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Bei manchen Medikamenten brauchen Kinder eine im Verhältnis kleinere Dosis als Erwachsene, da sie beispielsweise den Wirkstoff weniger schnell abbauen können. Bei anderen ist eine verhältnismässig höhere Dosis notwendig, da sich der Wirkstoff im kindlichen Körper anders verteilt und ansonsten die Konzentration am Wirkort zu klein wäre. Viele Wirkstoffe werden nach Alter, andere nach Körpergewicht und wieder andere aufgrund der Körperoberfläche dosiert. Nur Medizinalpersonen (Ärzte, Apotheker) können beurteilen, welche Arzneimittel bei welchen Krankheiten für welche Kinder und in welchen Dosierungen geeignet sind.

Es ist also keine gute Idee, Kindern für sich selber gekaufte Medikamente zu geben, zum Beispiel eine Kopfwehtablette?

Im Einzelfall ist das unter Umständen nicht auszuschliessen, grundsätzlich aber sehr heikel. Längst nicht alle Medikamente für Erwachsene sind auch für Kinder geeignet und ungefährlich, selbst solche, die für Erwachsene als «harmlos» gelten.

Warum?

Manche Medikamente wirken toxisch, sind also giftig für das Kind, weil das Kind den Wirkstoff noch nicht genügend effizient abbauen oder ausscheiden kann. Andere haben einen negativen Einfluss auf das Wachstum oder die Entwicklung. Es kann auch sein, dass der Körper durch die dünne Kinderhaut so viel von einem äusserlich applizierten Wirkstoff aufnimmt, dass dabei systemische Effekte auftreten, also negative Auswirkungen auf den gesamten Körper.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Werden Kopfwehtabletten mit Acetylsalicylsäure Kindern mit einem viralen Infekt verabreicht, kann es beispielsweise zum lebensbedrohlichen «Reye-Syndrom» kommen, bei dem Gehirn und Leber schwer geschädigt werden können. Bei kleinen Kindern kann Jod aus Desinfektionsmitteln über die Haut aufgenommen werden und zu Schilddrüsenfunktionsstörungen führen. Noch heikler wird es, wenn Erkältungssalben für Erwachsene mit Menthol oder Kampfer bei Säuglingen oder kleinen Kindern angewendet werden. Diese können bei Kindern Schwellungen der Schleimhaut im Kehlkopfbereich, ein sogenanntes Glottisödem, auslösen, was im schlimmsten Fall zum Erstickungstod führen kann. Das sind alles Beispiele für Medikamente, die gesunde Erwachsene grundsätzlich meistens gut vertragen, deren Anwendung bei Kindern aber problematisch bis gefährlich werden kann.

Gibt es auch Medikamente, die bei Kindern anders oder weniger gut wirken?

Auch das kommt vor. Beispielsweise wirken bei kleineren Kindern viele «Hustensäfte» nur ungenügend, die bei grösseren Kindern oder Erwachsenen eine gute Wirkung zeigen. Ein Grund dafür ist, dass kleinere Kinder oft husten, weil ihnen beim Schnupfen der Schleim den Rachen hinunterläuft und gar nicht, weil sie Schleim in der Lunge haben. Daher ist es auch wenig erstaunlich, dass Medikamente, die beispielsweise den Schleim in der Lunge zum besseren Abhusten verflüssigen, bei kleinen Kindern oft nur eine unbefriedigende Wirkung zeigen. Das wurde auch in Studien so beobachtet und findet Niederschlag in den internationalen Empfehlungen zur Behandlung von Husten.

Viele Eltern halten pflanzliche Arzneimittel für ungefährlich. Stimmt das?

Es ist eine weitverbreitete Ansicht, dass pflanzliche Mittel gesünder seien oder zumindest weniger schädlich als chemisch hergestellte Medikamente. Aber auch pflanzliche Arzneimittel können hoch potente Wirkstoffe enthalten, die für kleine Kinder gefährlich sein können. Darum empfiehlt es sich auch bei pflanzlichen Präparaten immer, die Beratung einer Medizinalperson in Anspruch zu nehmen. Insbesondere wenn das Kind an Krankheiten wie Allergien, Neurodermitis oder Asthma leidet.

Wenn ein Arzt einem Kind ein Medikament verordnet, legt er auch die Dosis fest. Warum ist es so wichtig, sich genau daran zu halten?

Diese Dosierungen werden in Studien ausgetestet. Meistens führen zu hohe Dosen zu mehr Nebenwirkungen, ohne dass die gewünschte Wirkung verbessert wird. Anderseits können zu tiefe Dosierungen ebenfalls gefährlich sein, beispielsweise bei Antibiotika, weil dann die Krankheitskeime nicht eliminiert werden und Resistenzen gebildet werden. Es kann auch vorkommen, dass der Arzt je nach Indikation dasselbe Medikament bewusst in einer anderen Dosierung verordnet als bisher bekannt. Ändern Sie daher nicht von sich aus die Dosierung oder brechen Sie eine Behandlung nicht frühzeitig ab, ohne dass Sie mit dem Arzt oder Apotheker Kontakt aufgenommen haben.

Manchmal ist es aber gar nicht so einfach, richtig zu dosieren. Worauf sollten Eltern achten?

Flüssigkeiten sollten am besten mit der Spritze dosiert werden, da dies am genausten ist. Für Tabletten gibt es in Drogerien und Apotheken Tablettenteiler. Allerdings dürfen längst nicht alle Tabletten geteilt werden, unter Umständen sogar solche mit einer Bruchrille nicht! Durch das Teilen können wichtige Eigenschaften wie zum Beispiel ein Magenschutz, die Langzeitwirkung usw. verloren gehen. Fragen Sie besser eine Fachperson.

Lässt sich die gewünschte Dosis gar nicht verabreichen, besteht die Möglichkeit, in der Apotheke eine Kinderdosierung auf Rezept von Hand herstellen zu lassen, wie zum Beispiel Kapseln, die man öffnen kann, oder Zäpfchen.

Autorin und Redaktion: Bettina Epper
Quelle
  • «Drogistenstern»