Von der Liebe zum Haustier

Die Beziehung der Menschen zu ihrem Haustier ist häufig sehr emotional. Woher das kommt und warum der Mensch überhaupt ein Faible für Tiere hat. Oder sie gar quält …

«Schau, mein Hund beim Spielen!» Ein paar Sekunden später das nächste Foto: «Und hier guckt er so herzig!». Tierhalter schwärmen oft, wenn sie von ihren Lieblingen sprechen. Warum der Mensch eine enge Bindung zu seinem Haustieren aufbauen kann, Haustiere ihrem Menschen gut tun können und warum süsse Schweinchen und Lämmchen trotzem auf unseren Tellern landen – Dr. Karin Hediger, Psychologin und Forscherin an der Universität Basel, beantwortet diese und andere Fragen.

In fast jedem zweiten Haushalt in der Schweiz leben Haustiere. Woher kommt der Wunsch nach tierischer Gesellschaft?

Dr. Karin Hediger: Menschen hatten schon immer Beziehungen zu Tieren. Manche wurden sogar gemeinsam begraben. Oder im Alten Ägypten wurden Tiere als Götter verehrt. Wie sehr Menschen von Lebewesen fasziniert sind, zeigen verschiedene Studien. Forscher haben beispielsweise herausgefunden, dass Babys stärker auf Tierbilder reagieren als auf Bilder von Spielzeug. Eine Antwort kann aber auch die «Biophilie»-Hypothese geben. Nach der Theorie des Soziobiologen Edward O. Wilson interessiert sich der Mensch von Natur aus für alles Lebendige. Früher brachte das viele Überlebensvorteile.

Welche?

Einerseits musste der Mensch Tiere jagen, um genug Essen zu haben. Anderseits musste er aufpassen, dass er nicht angegriffen und seinerseits gefressen wurde. Es war für ihn also überlebenswichtig, möglichst viele Tiere in möglichst kurzer Zeit zu kennen und erkennen.

Seit wann besitzen Menschen Haustiere?

Wahrscheinlich seit der Zeit der industriellen Revolution. Im Sinne beispielsweise heutiger Haushunde. Damals hat man angefangen, Hunde zu Hause zu halten und ihnen Leinen und Hundemarken angelegt.

Manche können mit Haustieren allerdings gar nichts anfangen.

Genau. Das kann verschiedene Gründe haben. Eine wichtige Rolle spielt sicher, wie man aufgewachsen ist, ob mit oder ohne Tiere oder in welchem kulturellen Umfeld man lebt, was man gelernt hat und was man mit Tieren für persönliche Erfahrungen gemacht hat.

Warum lösen eigentlich gerade Jungtiere oft starke Emotionen aus?

Das hat mit einem Trick der Natur zu tun, dem sogenannten Kindchenschema. Ein grosser, runder Kopf und grosse, runde Augen bei Babys oder Jungtieren bringen viele zum Schmelzen. Diese Gefühlsreaktion sorgt dafür, dass man sich dem Kleinen zuwendet, es versorgt und beschützt, was sein Überleben und den Fortbestand seiner Art sichert. Dieser Trick funktioniert auch zwischenartlich.

Spinnen, Skorpione oder Schlangen entsprechen diesem Kindchen-Schema nicht. Weshalb bevorzugen manche solche Haustiere?

Was wir in der Forschung wissen ist, dass Menschen zu allen Tierarten eine Beziehung aufbauen können.

Können Tiere wie Reptilien, Spinnen oder Fische auch eine Beziehung zum Menschen aufbauen?

Stark domestizierte Tiere wie Hunde, Katzen und Bauernhoftiere haben über die Jahrhunderte gelernt, den Menschen zu lesen und zu verstehen. Solche Tiere können eine emotionale Bindung zur Besitzerin oder zum Besitzer aufbauen. Ob das einem Reptil, einer Spinne oder einem Fisch auch gelingt, weiss ich nicht. Ich denke, dass sich auch diese Tiere an eine Stimme oder einen Geruch erinnern können, aber meistens ist die Beziehung zwischen einem Menschen und einer Spinne oder einem Reptil eher einseitig.

Wie stark kann eine Bindung zu einem Haustier werden?

Sehr stark. Ein Haustier kann den gleichen Stellenwert haben wie Menschen, die zur Familie gehören. Manche trauern auch gleich stark um ihr verstorbenes Haustier wie um ein verstorbenes Familienmitglied. Vor allem für Kinder kann der Verlust eines Tiers sehr schmerzhaft sein.

Was geben Haustiere ihrem Menschen?

Tiere können gute Freunde sein, manchmal sogar bessere als Menschen. Zwar kann man sich mit Tieren nicht verbal unterhalten, aber sie geben einem trotzdem viel.

Was zum Beispiel?

Vielleicht freut sich der Hund oder die Katze, sobald man nach Hause kommt. Und Tiere werten nicht. Ihnen ist es egal, ob man reich oder arm ist, wie man aussieht oder wie viel man bei der Arbeit leistet. Vielen gibt es zudem ein gutes Gefühl, wenn sie sich um ein Tier kümmern können und gebraucht werden.

Expertin

Dr. Karin Hediger leitet die Forschungsgruppe «Mensch-Tier-Beziehung und tiergestützte Interventionen» an der Fakultät für Psychologie von der Universität Basel in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) und dem REHAB Basel (Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie).

Hunde werden manchmal sogar frisiert und eingekleidet. Warum?

Gewisse Halterinnen und Halter betrachten ihren Vierbeiner als äquivalent. Sie haben ein tiefes Bedürfnis, gut für ihr Tier zu sorgen. Bis zu einem gewissen Grad ist diese Vermenschlichung positiv, weil man dem Tier zutraut, Bedürfnisse und Emotionen zu haben.

Aber es kann zu viel werden?

Ja. Nämlich dann, wenn man vergisst, dass ein Tier andere Bedürfnisse hat als der Mensch. Also nur weil ich beispielsweise gerade friere, muss es nicht heissen, dass mein Haustier auch friert.

Wie ist es möglich, dass viele Menschen eine starke Empathie gegenüber ihrem Haustier empfinden, aber gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen das Fleisch eines anderen Tieres essen?

Für viele ist Fleisch essen abstrakt. Die meisten bringen die Wurst oder das Steak nicht mit einem Säuli oder Rind in Verbindung. In dem Moment, in dem man Fleisch isst, denkt man nicht daran, wie diese Tiere gehalten oder geschlachtet werden. Oder man koppelt sich innerlich ab von diesen Vorstellungen. Das macht es vielen einfacher, Fleisch zu essen. Zum eigenen Tier hingegen hat man eine emotionale Beziehung und kann sich daher nicht vorstellen, es zu essen.

Empfinden Menschen, die Tiere schlachten oder Fleisch verarbeiten keine Empathie ihnen gegenüber?

Es gibt Schlachter, die sehr empathisch gegenüber eigenen Tieren oder Schlachttieren sind, aber trotzdem diesen Job machen oder machen müssen. Viele, die in der Schlachtbranche arbeiten, können sich sogar psychisch vom Töten nicht genug abgrenzen und bekommen ein Burnout.

Aber es gibt Menschen, die zum Spass Tiere quälen. Oder?

In der Forschung weiss man darüber wenig. Aber gezieltes, vorsätzliches Quälen geht in der Regel mit psychischen Störungen einher. Genauso wie Menschen fähig sind, andere Menschen zu quälen können Tiere betroffen sein. Ein anderes Phänomen sind Mutproben unter Jugendlichen, bei denen einem Tier Schmerzen zugefügt wird. Aber wahrscheinlich überlegen die Teenager gar nicht, was sie dem Tier antun. Auch kleine Kinder quälen manchmal Tiere, reissen beispielsweise einem Schmetterling die Flügel aus. Doch ein Kleinkind weiss oft noch nicht, dass das Tier darunter leidet, weil niemand es ihm erklärt hat oder dem Kind die Fähigkeit, mitfühlen zu können, noch fehlt.

Sollten Kinder mit einem Haustier aufwachsen?

Ein Tier sollte nur unter optimalen Bedingungen gehalten werden. Kinder haben auch andere Möglichkeiten, mit Tieren in Kontakt zu kommen. Zum Beispiel auf einem Bauernhof oder bei Nachbarn. Für Kinder ist es gesund, schon früh mit Tieren zu tun zu haben, weil sie dadurch weniger häufig eine Allergie entwickeln. Das Immunsystem lernt, sich mit fremden Elementen auseinanderzusetzen.

Beeinflusst die Nähe zu Tieren die Gesundheit auch anderweitig?

Ja, Studien zeigen, dass Tierhalterinnen und Tierhalter unabhängig von der Tierart ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten haben. Man weiss auch, dass Streicheln den Blutdruck und das Stresshormon Kortisol senken kann. Tiere können zudem Depressionen oder das Gefühl von Einsamkeit lindern. Und es gibt tierische Therapeuten, die viele positive Effekte bewirken können, beispielweise bei Autismus, Angststörungen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen. Manchmal findet das Tier einen besseren Zugang zum Patienten als der Mensch.

Autorin und Redaktion: Vanessa Naef
Quellen
  • Dr. Karin Hediger von der Universität Basel