Antibiotika und Hustenmittel aus Flechten

Flechten sind mysteriöse Wesen zwischen Pilz und Algen. Sie gedeihen an kargen Orten unter härtesten Bedinungen - und in ihnen schlummern Heilkräfte, die noch lange nicht alle erforscht sind.

Flechten sind geheimnisvolle Wesen: halb Algen und halb Pilze, bilden sie weder Blüten noch Samen. Es sind Pionierpflanzen, die beispielsweise im Alpenraum an Orten gedeihen, wo sich die Gletscher zurückziehen. Pilzsporen und einfache Algen, die manchmal nur aus einer einzigen Zelle bestehen, befinden sich nämlich vielerorts in der Luft. Wenn sie zusammen auf einen Stein oder auf ein Stück Rinde treffen, dann kann daraus ein neues Lebenwesen entstehen. Allerdings dauert es viele Jahre, mitunter Jahrzehnte, bis eine sichtbar grosse Flechte herangewachsen ist. Dafür können diese geheimnisvollen Lebewesen sehr alt werden. Es sind Flechten dokumentiert, die über 100 Jahre alt sind!

Einer, der sich mit der Vielfalt und der Heilwirkung von Flechten schon sein ganzes Leben lang beschäftigt, ist der inzwischen pensionierte Willisauer Apotheker Gregor Kaufmann. Bereits als Gymnasiast und später als Pharmazie-Student begann er sich für Flechten zu interessieren. Denn sein Onkel , der als Mönch im Kloster Disentis lebte, hatte seinerseits schon sein Leben lang Flechten gesammelt. Besonders die mit Heilkräften gesegnete Bartflechte interessierte den jungen Studenten damals. Kaufmann sagt: "Die Usnea-Flechte hat eine extrem starke antibakterielle Wirksamkeit, die Penicilin bei weitem übertrifft. Das hat mich damals vom Hocker gehauen!"

Unter widrigsten Umständen überleben

Seither hat ihn die faszinierende Welt der Flechten und ihrer Heilkräfte nicht mehr losgelassen. Er schwärmt: "Flechten können unter den widrigsten Umständen überleben, und sie sind extrem resistent gegen alles Mögliche. Als Primärvegetation enthalten sie viele Abwehrstoffe, um sich vor Bakterien, Fressfeinden und anderen Gefahren zu schützen. Insgesamt seien schon hunderte von Wirkstoffe aus den Flechten bestimmt worden. Mit grosser Wahrscheinlichkeit befänden sich darunter Stoffe, die für Medikamente interessant sein könnten, hofft der Apotheker, und fügt an: "In diesem Bereich hat die Forschung noch viel zu tun!" Insbesondere bei der Bartflechte habe unms die Natur nämlich einen Streich gespielt - in der als Antibiotikum wirkungsvollen Dosis sei sie nämlich lebertoxisch.

Immerhin könne sie in der Homöopathie problemlos eingesetzt werden, wo die Usnea dank ihren seit Alters her bekannten Wirkstoffen beliebt sei. Nebst homöopathischen und spagyrischen Naturheilmitteln mit Flechtenwirkstoffen gibt in den Drogerien von einer bekannten Schweizer Marke einen antroposophischen Flechten-Sirup. Kaufmann sagt, wenn er noch einmal zwanzig wäre, dann würde er ein Forschungsprojekt starten, um die Usninsäure chemisch so zu verändern, dass das Toxische ausgeschaltet wird. "Das wäre die Zukunftsmusik!" Gerade im Hinblick auf die immer grösser werdenden Probleme mit Antibiotikaresistenzen sieht Kaufmann hier Potential.

Das Herbarium des Onkels aktualisiert

Keine heiklen Nebenwirkungen sind hingegen beim Isländisch Moos bekannt. "Dieses ist unproblematisch und wird seit jeher auch für drogistische Hausmittel verwendet," versichert der Flechtenspezialist. Er selber hat es in seiner Zeit als Apotheker für Teemischungen gern verwendet. Man findet es auch in der Schweiz, aber es ist hierzulande recht selten. Kaufmann möchte keinesfalls die Fundorte bekanntgeben, um die Bestände nicht zu gefährden. Das Isländisch Moos, das in Drogerien und Apotheken Verwendung findet, stammt aus nordischen Ländern wie zum Beispiel Norwegen und Schweden, wo es häufig und in grosser Menge vorkommt.

Zwischen 1950 und 1974 hatte Pater Burkard ein riesige Flechten-Herbar angelegt, das über 700 Exemplare umfasste. Nach seiner Pensionierung als Apotheker übernahm Gregor Kaufmann die Arbeit seines Onkels und aktualisierte die Sammlung. Er ist auch in Kontakt mit anderen Flechtenspezialisten, und das Wissen wird auf einer eigenen Webseite geteilt.

www.flechten-kaufmann.ch

Die wichtigsten Heilflechten

-Isländisch Moos (Cetraria islandica)

Diese Flechte enthält leicht antibiotisch wirkende Stoffe, sowie Schleimstoffe. Das macht sie zu einem idealen Mittel für Hustenpastillen, aber auch für Erkältungssirup und Tees. Isländisch Moos wird vier bis 12 Zentimeter hoch und bildet dichte braungrüne Polster. In der Phytotherapie wird Lichen islandicus als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft. Die Anwendung reicht von trockenem Husten udn Entzü ndungen im Mund- und Rachenraum bis zu Appetitlosigkeit.

-Bartflechte (Usnea Barbata)

Die Bartflechte wächst in langen grauen Bärten von den Bäumen in höheren Lagen. Sie enthält antibakterielle Wirkstoffe, die allerdings höherer Konzentration der Leber schaden können. Darum ist mit Bartflechten Vorsicht geboten. In der Homöopethie können sie aber gefahrlos angewendet werden. Weil Usnea antibakterielle Stoffe enthält, wird sie schon seit der Antike eignesetzt als Heilmittel bei Magen-Gallen-Problemen, aber auch bei Erkältung, Grippe oder Rachenentzündungen.

-Lungenflechte (Lobaria pulmonaria)

Die Lungenflechte wächst in feuchten Wäldern auf der Rinde alter Laubbäume, und ist in der Schweiz recht selten und gefährdet. Sie hat olivegrüne Lappen. Wegen ihrem lungenförmigen Aussehen gilt sie als Heilmittel gegen Husten, eine Wirkung ist aber nicht wissenschaftliuch nachgewiesen.

- Rentierflechte (Cladonia rangiferina)

Diese Flechterwächst zu üppigen strauchartigen grauen Polstern heran. Sie kommt in der alpinen Tundra des Nordens häufig vor und ist im Winter ein Hauptnahrungsmittel der Rentiere. Diese Flechte ist auch für den Menschen essbar, wird aber wegen ihrem bitteren Geschmack eher selten verwendet. Hingegen wird im Norden aus ihrem Saft traditionell ein Mittel gegen Durchfall gewonnen. Manchmal wird auch Aquavit mit Cladonia aromatisiert.

Autorin: Sabine Reber
Redaktion: Lisa Heyl