Silke Margherita Redolfi
Stellen Sie sich vor, sie wären in einem Land geboren und aufgewachsen, hätten dort das Bürgerrecht – und verlören dieses, nur weil sie einen Mann heiraten, der aus einem anderen Land stammt. Nein, das ist nicht die Story eines Science-Fiction-Films, das war in der Schweiz lange bittere Realität.
Nachzulesen ist dieses Stück Geschichte im Buch «Die verlorenen Töchter» der Historikerin Silke Margherita Redolfi. Bis 1953 verloren tausende Schweizerinnen ihr Bürgerrecht – einfach nur darum, weil sie einen Ausländer geheiratet hatten. Denn Frauen hatten bei der Heirat nicht nur den Nachnamen abzulegen, sondern auch das Bürgerrecht des Mannes anzunehmen. Diese Praxis führte dazu, dass Schweizer Frauen durch eine Heirat automatisch zu Ausländerinnen im eigenen Land wurden. Die Historikerin Silke Margherita Redolfi hat das Thema für ihre Doktorarbeit aufgenommen, hat mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesprochen, Schicksale aufgearbeitet und ist der damaligen Rechtsprechung auf den Grund gegangen. Nun liegt die Dissertation als Buch vor, das auch für Nicht-Historikerinnen und -Historiker lesenswert ist. Eine Lektüre, die oft wütend macht und einem ungläubig den Kopf schütteln lässt, eine Reise in eine Zeit, die gar nicht so lange zurückliegt, die aber doch zuweilen so fremd anmutet. Besonders eindrücklich lesen sich die Schicksale der Betroffenen, die Lebensgeschichten von Frauen, die mit ihren Kindern von der Ausweisung bedroht waren, Frauen, die in psychiatrischen Kliniken «versorgt» andere, die aus der Schweiz verbannt wurden. Ein Stück Schweizer Geschichte, das mehr ist als verstaubte Akten. Ein Stück Schweizer Geschichte, das wir nicht vergessen dürfen.
Silke Margherita Redolfi: «Die verlorenen Töchter. Der Verlust des Schweizer Bürgerrechts bei der Heirat eines Ausländers. Rechtliche Situation und Lebensalltag ausgebürgerter Schweizerinnen bis 1952», Chronos Verlag, 2020, ISBN: 978-3-0340-1504-2