André Seidenberg
Aus den Zeiten, als ich in den 1990er-Jahren als Teenager öfter mit dem nach Zürich fuhr, weil es nur dort grüne und blaue Haarfärbemittel zu kaufen gab, erinnere ich vor allem eines: die offene Drogenszene am Platzspitz.
Ich habe immer nur im Vorbeigehen ein paar Blicke auf den Park erhascht und kann mir nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, dort mitten drin zu sein. Doch mitten drin waren viele, mitten drin starben viele, mitten drin litten viele. Auch André Seidenberg war mitten drin. Als Arzt. Über 40 Jahre lang hat er Drogensüchtige in Zürich behandelt und er war massgeblich daran beteiligt, dass die Schweiz ihre Drogenpolitik änderte und ein Methadon-Programm einführte. Nun hat er ein Buch geschrieben über die Menschen, die er in dieser Zeit kennengelernt hat, über die Menschen, die auf dem Platzspitz mitten drin waren. In «Das blutige Auge des Platzspitzhirsches» stehen diese Menschen im Mittelpunkt. Wir lernen Düdü kennen, Pepe und Florentine, Pinguin und Mäde. Kurze und längere Episoden, Lebens- und Leidensgeschichten. Es ist eine Lektüre, die unter die Haut geht, und das Buch bildet ein Stück Zeitgeschichte ab, das wir niemals vergessen dürfen, ein Elend, das sich niemals wiederholen darf.
André Seidenberg: «Das blutige Auge des Platzspitzhirsches. Meine Erinnerungen an Menschen, Seuchen und den Drogenkrieg», Elster & Salis, 2020, ISBN: 978-3-03930-006-8