Hyperaktives Immunsystem

Bei Allergien kann man auf Weizen verzichten. Ebenso auf Milchprodukte. Wenn der Körper allerdings Hausstaubmilben oder Katzenhaare als Allergen erkennt, lauert die Gefahr in nächster Nähe.

«Meh dräck»: Unserem Immunsystem würde etwas mehr Dreck nicht schaden. Es hat sich gezeigt, dass in Ländern und Regionen mit hohem Lebensstandard und verbesserter Hygiene auch die Allergien zunehmen. Ein hoher hygienischer Standard lässt das Immunsystem verkümmern. Es wird wesentlich weniger durch natürliche Feinde wie harmlose Bakterien und Viren beansprucht. Fehlen solche Trainingseinheiten, verlernt das Abwehrsystem, zwischen gefährlichen und harmlosen Substanzen zu unterscheiden. Das hat zur Folge, dass neben Herzkreislauf- und rheumatischen Beschwerden allergische Erkrankungen
in der hausärztlichen Praxis die häufigsten Gründe für Konsultationen sind, wie Professor Arthur Helbling als Vertreter der schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie sagt. Auch Marianne Amstutz, Mitarbeiterin des Fachteams von aha! Allergiezentrum Schweiz kann das bestätigen: «Die Zahl von Menschen, welche an einer Allergie leiden nimmt tendenziell zu». Inzwischen seien etwa 35 Prozent der Schweizer Bevölkerung auf Allergene sensibilisiert und weisen damit eine Allergiebereitschaft auf. Ungefähr 20 bis 25 Prozent haben bereits allergische Symptome gezeigt. In anderen Industrieländern sind die Zahlen etwa deckungsgleich. Es wurde auch festgestellt, dass das Allergierisiko ungleich verteilt ist. Kinder, deren Eltern oder Geschwister bereits an Allergien leiden, haben ein höheres Risiko, ebenfalls allergische Reaktionen zu entwickeln. Auch volkswirtschaftlich sprechen die Zahlen für sich: Allergische Erkrankungen verursachen in der Schweiz direkte und indirekte Kosten von über einer Milliarde Franken.

«Grundsätzlich sind Allergien jedoch nichts Neues», erklärt Marianne Amstutz. Über die Gründe, warum Allergien zunehmen, wird in der Fachwelt aber viel diskutiert. Wahrscheinlich sind verschiedene Komponenten mitverantwortlich. So nimmt man an, dass die besseren hygienischen Bedingungen, sowie auch die veränderten Lebensbedingungen, z.B. die besser isolierten Wohnräume, die veränderten Wohnformen oder die Haltung von Haustieren einen Einfluss auf die Entwicklung von Allergien haben. Man weiss heute, dass Luftschadstoffe Pollen aggressiver machen, evtl. beeinflussen sie auch die Eigenschaften der Lunge und tragen so zur Zunahme von Pollenallergien bei. Es wird viel zu dieser Frage geforscht, in einigen Jahren wird sicher mehr dazu bekannt sein.

Das Allergen im Staub

Fast immer sind es Eiweissstoffe, die für eine allergische Überempfindlichkeitsreaktion verantwortlich sind. Die sogenannten Allergene sind in Pollen, Hausstaubmilben, Tieren, Nahrungsmitteln oder Medikamenten enthalten. Laut einer Umweltanalyse welche die Stiftung Warentest vor einigen Jahren machen liess, enthalten zwei Drittel aller untersuchten Hausstaubproben krankmachende, allergieauslösende Milben- und Katzenallergene. Es handelt sich dabei um Eiweissstoffe, die aus dem Kot der Milben und bei den Katzen aus Speichel, Urin und Schweiss stammen. Mit kleinen Mengen davon kommt der Mensch gut klar. Sind jedoch zu viele Allergene im Staub enthalten, reagieren empfindliche Menschen allergisch mit Husten, Schnupfen, Tränen oder gar Asthmaanfällen. Die 0,1 Millimeter kleinen, kaum sichtbaren Milben leben von den Hautschuppen der Menschen. Sie tummeln sie sich am liebsten im Bett und auf sonstigen Liege- und Sitzplätzen in der Wohnung. Auch Stofftiere, Bettvorleger und Vorhänge gehören zu ihrem Lebensraum. Da sie Wärme und Feuchtigkeit lieben, vermehren sie sich im Sommer besonders gut und kommen dann auch in grösserer Anzahl vor.

Wer gegen sein Haustier allergisch reagiert, kann sich von ihm trennen, um nicht zu vielen Allergenen ausgesetzt zu sein. Doch ganz aus dem Weg gehen kann man auch dem Katzenallergen nicht. Bei den Tests der Stiftung Warentest wurden Katzenallergene in fast 70 Prozent aller Proben nachgewiesen. Doch viele der Teilnehmer hielten gar keine Katze. Das kommt daher, dass die Katzenallergene derart klein und leicht sind, dass sie mit dem Schwebstaub, mit Kleidern und Schuhen an weit entfernte Orte getragen werden.

Fehlgesteuertes Immunsystem

Insgesamt gibt es vier verschiedene Allergietypen. Die Soforttyp- und die Spättypreaktion, sowie die zelltoxische- und die Immunkomplexreaktion. Ungefähr 90 Prozent aller Allergien sind Allergien vom Soforttyp: Das Immunsystem reagiert sofort nach dem Kontakt mit dem Allergen. Typisch dafür sind Symptome wie allergischer Schnupfen, allergisches Asthma, Nesselsucht, das Quincke-Ödem, der Anaphylaktische Schock durch Pollen, Insektengifte, Schimmelpilzallergien, Tierhaare, Hausstaubmilben und die Nahrungsmittelallergie. Zur Spättyp-Reaktion gehören allergische Reaktionen, die erst nach einem bis zwei Tagen einsetzen. So zum Beispiel bei Kontaktallergien auf Metalle, Latex, Sonnenlicht oder Reinigungsmitteln.

Schaltstellen für die allergische Reaktion sind die Mastzellen. Gebildet werden sie im Knochenmark und gehören zu den Abwehrzellen. Mastzellen befinden sich im Bindegewebe aller Organe. Auch im Bereich der Haut und der Blutgefässe. Nur im Gehirn sind keine Mastzellen zu finden. In den Mastzellen befinden sich kleine Bläschen, die mit Histamin gefüllt sind. Beim ersten Kontakt mit einem Allergen produzieren die B-Zellen IgE-Antikörper, die sich an den Mastzellen festsetzten. Diese Antikörper können jeweils zu zweit ein Allergenmolekül einfangen und neutralisieren. Dabei wird nur sehr wenig Histamin freigesetzt. Man spricht hier von der Antigen-Antikörper-Reaktion. Erst beim nächsten Kontakt kommt es dann zur allergischen Reaktion. Die massenweise auf den Mastzellen festgehefteten IgE-Antikörper – es können zwischen 10'000 bis 50'000 sein – fangen das Allergen ein. Das hat eine übermässige Freisetzung von Histamin zur Folge, bei der die Mastzelle förmlich aufplatzt. Histamin und andere Entzündungsmediatoren machen, dass sich die Blutgefässe stark ausweiten. Flüssigkeit tritt innert Sekunden bis Minuten aus und es kommt zur Bildung von Ödemen und Blasen. Der Blutdruck sinkt und die Betroffenen leiden unter Juckreiz oder im Extremfall Atemnot.

Regeln für zu Hause

Ganz loswerden kann man die Milben nicht. Mit den richtigen Massnahmen kann die Milbendichte allerdings durchaus auf einem Minimum bleiben:

Richtig lüften: Während im Sommer die Fenster gerne geöffnet bleiben, wird in vielen Haushalten im Winter viel zu wenig gelüftet. Die Regel lautet: drei mal täglich Stosslüften während etwa fünf bis zehn Minuten. Wegen den dichten Fenstern zirkuliert in den neuen Bauten die Luft nicht mehr automatisch.

Staub entfernen: Regelmässig feucht wischen und Staub saugen. Das vermindert die Gefahr, dass allergener Staub in die Atemluft gelangt. Viele Staubsauger, besonders ältere Modelle, stossen einen Teil des Schmutzes wieder heraus. Idealer ist ein Gerät mit Schwebstofffiltern (Hepa-Filter). Ihr Staubrückhaltevermögen ist wirkungsvoller.

Rund ums Bett: Bettwäsche sollte mindestens alle ein bis zwei Wochen gewechselt werden. Im Sommer die Decken und Matratzen an die Sonne legen, das eliminiert die Milben.

Symptome lindern: Befeuchtende Nasensprays mit Meersalz oder auf der Basis von Sesamöl pflegen die Nasenschleimhäute und erleichtern die Atmung bei leichtem allergischen Schnupfen.

Bei Milbenallergikern reichen diese Massnahmen allein allerdings oft nicht aus, um es sich zu Hause ohne Schnupfen oder tränende Augen gemütlich zu machen. Matratze, Kissen und Decke sollten mit einem milbendichten Überzug (Encasing) eingepackt werden. Encasings mit dem Allergie-Gütesiegel sind zu finden unter: www.softsan.ch, www.teomed.ch und www.allergycare.ch. «Betroffene sollten auf langflorige Teppiche in den Wohnungen verzichten», sagt Marianne Amstutz von aha! Allergiezentrum Schweiz. Denn ein Teppichshamponiergerät reicht nicht aus, um die Milben in Schach zu halten.

Die körperliche Reaktion in Schach halten

Falls bei einem Milbenallergiker die räumlichen Anpassungen nicht zu einer deutlichen Verminderungen der Symptome führen, kann er an die Möglichkeit einer spezifischen Immuntherapie denken. Die Desensibilisierung wird oft bei allergischen Beschwerden in Zusammenhang mit Pollenallergien, Hausstaubmilbenallergie, ausnahmsweise auch bei Tier- und Schimmelpilzallergien durchgeführt. Während rund drei Jahren wird dem Allergiker in monatlichen Abständen ein Allergenextrakt in steigender Dosierung unter die Haut des Oberarms gespritzt oder als Tabletten oder Tropfen verabreicht. Ziel ist, den Körper an das Allergen zu gewöhnen und einen immunologischen Schutz aufzubauen, der weitere allergische Reaktionen verhindert. Nach ein bis zwei Jahren Therapie sollten sich die Symtpome deutlich gebessert haben oder verschwunden sein.

Die Naturheilkunde hat einen anderen Ansatz. Hier wird in erster Linie die Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte angestrebt. Weil die Ernährung und die tägliche Bewegung an der frischen Luft schlussendlich das A und O für ein gesundes Immunsystem sind, stehen diese zwei Punkte ganz oben auf der Beratungsliste. Ein weiteres Augenmerk gilt der Stressreduktion, da Stress bei Allergikern ein Schlüsselfaktor sein kann. Was die Ernährung betrifft, sollten Betroffene unbedingt auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen säure- und basenbildenen Lebensmitteln achten und die Regel von 20 Prozent säurebildenden und 80 Prozent basenbildenden Nahrungsmitteln unbedingt einhalten.

Beraten mit Fragen

Die Beratung eines Allergikers erfordert etwas Fingerspitzengefühl. Oft sind die Betroffenen extrem empfänglich für Ratschläge aller Art. Sie probieren mal dies, dann das und sind in erster Linie einfach frustriert dass alles nichts nützt. Anstatt erneut mit Ratschlägen und Tipps auf den Allergiker einzuwirken, muss das Gespräch deshalb erst mal mit vielen Fragen geführt werden.

Was haben Sie bereits gemacht? Oft haben die Betroffenen schon vieles ausprobiert. Es bringt deshalb wenig, sofort ein Produkt zu empfehlen, ohne die Einzelheiten der Krankengeschichte zu kennen. Gerade bei Atembeschwerden sollte auch nachgefragt werden, ob das Produkt richtig eingenommen oder angewendet wurde.

Wie und wann haben Sie die Symptome? Die Kunden sollen zum eigenen Beobachter werden. Wer nicht genau weiss worauf er allergisch reagiert sollte Buch führen über seine Symptome oder sich allenfalls erst mal ärztlich untersuchen lassen.

Waren Sie schon beim Arzt? Der Arzt sollte möglichst früh eingeschaltet werden, um Spätfolgen zu minimieren.

Was denken Sie, auf was ist ihre allergische Reaktion auf die Milben zurückzuführen? Jeder Mensch macht sich Gedanken darüber, weshalb er eine Krankheit hat. Meistens liegen die Betroffenen mit ihrer Theorie erstaunlich nah an der Lösung. Eigene Gedanken und Theorien sollten unbedingt bestärkt und ernst genommen werden.

Wann hatten Sie das letzte Mal eine symptomfreie Zeit? Hier geht es darum herauszufinden, was dort anders war als sonst. Allenfalls hatte der Betroffene weniger Stress oder befand sich in einer anderen Umgebung. Auch solche Faktoren helfen mit, das Reaktionsmuster des Körpers herauszufinden.

Wie ernähren Sie sich? Einseitige, zuckerreiche Ernährung mit grossen Mengen an tierischen Eiweissen kann die allergische Reaktion verstärken. Was jedoch wissenschaftlich nicht erwiesen sei, wie aha! Allergiezentrum Schweiz zu bedenken gibt.

Wie oft pro Woche bewegen Sie sich? Bewegung, Sauna, frische Luft gehören zu den abhärtenden Massnahmen für das Immunsystem. Gerade wer auf Staub reagiert, sollte möglichst viel Zeit draussen an der frischen Luft verbringen. Noch besser im Hochgebirge, denn die Milben sind ab 1200 Meter über Meer kaum mehr lebensfähig.

Oft kann eine Allergie ein Ausdruck einer generellen Abwehrhaltung gegenüber der Umwelt oder des Umfeldes sein. Die Floristin, die nach 20 Berufsjahren plötzlich ein Kontaktekzem bekommt muss sich zwingend fragen, ob sie noch immer am richtigen Ort ist mit ihrem Beruf. Denn Stress, seelische Überanstrengungen und unbewältigte emotionale Konflikte können Allergien verstärken. Solche Spannungszustände und belastende Situationen gilt es zu entschärfen, damit eine Therapie überhaupt erfolgreich sein kann.