Gesünder dank digitaler Technologie

Gesünder dank Fitnessarmband? Ja, das geht. Sagt Kommunikationswissenschaftlerin Andrea Belliger.

Fitnessarmbänder, Pillen mit Mikrochips oder Gesundheits­Apps. Der sogenannten Mobile Health begegnet man heute überall. Bereits jede dritte Person in der Schweiz erfasst persönliche Gesundheitsdaten. Prof. Dr. Andrea Belliger, Kommunikationswissenschaftlerin und Prorektorin der Pädagogischen Hochschule Luzern, sagt im Interview mit dem Drogistenstern, welchen Nutzen solche Geräte haben und wie die Zukunft aussehen könnte.

Frau Belliger, Fitnessarmbänder oder Socken mit Schrittzähler – wer braucht so was? Man wird ja nicht gesünder, nur weil man seinen Körper vermisst.

Doch. Es gibt tatsächlich Studien, die zeigen, dass man gesünder werden kann.

Andrea Belliger

Andrea Belliger ist Professorin und Prorektorin der PH Luzern und Co-Leiterin des Instituts für Kommunikation und Führung. Sie forscht, lehrt und berät Organisationen zu Fragen von Trends und Veränderungen im gesellschaftlichen Kommunikationsverhalten, insbesondere in den Bereichen digitale Gesundheit, E-Learning und E-Government.

Wie geht das?

Früher hatten nur chronisch Kranke oder Spitzensportler die Möglichkeit, solche Daten zu erfassen. Heute können wir das alle und sind damit erstmals in der Lage, unsere gesundheitliche Entwicklung ein Stück weit selber zu managen. Über einen spielerischen Ansatz wird man motiviert, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dabei ist ein Fitnessarmband nur die Spitze des Eisberges. Heute können Diabetiker die eigenen Blutzuckerwerte auf ihrem Smartphone sehen oder Herzpatienten die Daten ihres Herzschrittmachers.

Was nützt es dem Patienten, die Blutzuckerwerte zu sehen, wenn er sie als Laie gar nicht auswerten kann?

Chronisch Kranke kennen sich in der Regel sehr gut aus und können solche Daten interpretieren. Ausserdem bekommen wir keine komplizierten Rohdaten. Die Geräte wandeln die Daten um und visualisieren sie. Sie sagen dann zum Beispiel: «Super! Sie sind heute dreimal auf den Eiffelturm gestiegen», darunter können sich alle etwas vorstellen.

An einer Hochschule in Oklahoma (USA) müssen Studenten ein Fitnessarmband tragen. Sie sollen täglich mindestens 10000 Schritte gehen und 150 Minuten pro Woche aktiv sein. Die Bewegung macht 20 Prozent der Note aus. Blüht uns Ähnliches?

Krankenkassen fangen damit an, finanzielle Anreize zu schaffen. Eine hat bereits eine spezielle Zusatzversicherung. Tut der Versicherte 7500 Schritte am Tag, bekommt er 20 Rappen gutgeschrieben, bei 10'000 Schritten sind es 40. Hier stehen wir aber noch am Anfang. Wir wissen ja nicht, ob 10'000 Schritte wirklich für alle das Mass der Dinge sind. Solche Angebote müssen personalisierter werden.

Wie könnte das aussehen?

Es gibt leider in der Schweiz wenig kreative Ansätze. In den USA gibt es die Versicherung «Oscar». Sie funktioniert voll digitalisiert, alles ist durchorganisiert, und die Prozesse sind transparent. Zentral ist die Kommunikation mit dem Kunden. Jeder kann innerhalb von zehn Minuten über Telemedizin einen Arzt erreichen. Und es gibt personalisierte Angebote mit individuellen Zielen. Ein Diabetiker hat nun mal einen anderen Hintergrund als ein Spitzensportler. Diese Ziele werden partnerschaftlich mit allen Beteiligten vereinbart, nicht von oben her diktiert.

Denken Sie, dass hier in der Schweiz auch bald solche Angebote aufkommen?

Bei uns ist die Motivation für solche Modelle noch nicht sehr gross, das Gesundheitswesen ist extrem mächtig aufgestellt. Es geht uns allen gut, wir können uns alles leisten. Ausserdem gibt es noch viele ungeklärte Fragen, nur findet leider weder eine gesellschaftliche noch eine politische Diskussion statt. Aber trotzdem: Es knistert überall.

Computer, die den Blutzucker messen und an den Arzt übertragen, sind Realität, ebenso Pillen mit Mikrochip, die Daten senden. Was bringt die Zukunft noch alles?

Das kann man nicht voraussehen, aber es wird verrückt. Künftig wird viel mit dem Genom passieren. Es gibt eine neue Methode, mit der Gensequenzen editiert werden können. So kann man ganze Krankheiten einfach ausradieren. Erste Tests am Menschen finden statt. Wer weiss, vielleicht gibt es in wenigen Jahren keinen Krebs mehr. Aber wir müssen uns auch Fragen stellen. Was heisst es beispielsweise, wenn solche veränderten Genome vererbt werden? Wir müssen das unbedingt diskutieren, denn die Entwicklung geht mit einer unglaublichen Geschwindigkeit voran.

Stichwort Datenschutz. Gehen wir genügend sorgfältig mit unseren digitalen (Gesundheits-) Daten um?

Grundsätzlich ist Datenschutz schwierig durchzusetzen. Heute geben etwa ein Drittel aller Apps Daten an Dritte weiter, obwohl sie in ihren Geschäftsbedingungen sagen, es nicht zu tun. Bis jetzt ist Datenschutz bei uns ein Einsperren von Daten. Ich finde, wir müssten mit den Daten arbeiten können. Es gibt Möglichkeiten, das zu tun und die Personen trotzdem zu schützen. Das kann helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen oder neue Medikamente zu entwickeln. Wir stehen vor der grossen Herausforderung, gute Modelle zu finden.

Apps, mobile Apps

Anwendungssoftware für Mobilgeräte. App ist eine Abkürzung vom englischen Wort «application», das «Anwendung» bedeutet. Es gibt Zehntausende Gesundheits- und Fitness-Apps, die zum Beispiel Schritte zählen oder Kalorien. Solche Apps sollen die Benutzer dazu motivieren, ihre Leistungen zu verbessern oder sich ausgewogener zu ernähren. Ausserdem gibt es medizinische Apps, die zu den Medizinprodukten gehören. Sie messen zum Beispiel den Blutzucker und übermitteln die Daten direkt an den Arzt.

Digitale Organspende

Man kann seinen Entscheid zur Organspende neu per Mail, WhatsApp oder SMS den Angehörigen mitteilen. Kommt ein Patient auf die Notfallstation eines der 40 beteiligten Schweizer Spitäler, wird seine Organspendekarte auf dem Smartphone automatisch und ohne Entsperrungscode angezeigt. Nur in der Notaufnahme kann ohne Passwort auf die Daten zugegriffen werden.

E-Health, elektronischer Gesundheitsdienst

E-Health, elektronischer Gesundheitsdienst ist der Oberbegriff für elektronisch unterstützte Aktivitäten im Gesundheitswesen.

Insideables

Insideables sind Pillen mit einem Mikrochip, die Daten, zum Beispiel aus dem Magen, übermitteln.

Mobile Health, mHealth

Mobile Health, mHealth sind durch Mobilgeräte unterstützte, elektronische Services zur Gesundheitsversorgung.

Neurowear

Neurowear sind tragbare Sensoren zur Erfassung von Hirnströmen.

Patienten-Communities

Patienten-Communities sind Onlineplattformen, auf denen Patienten sich über Krankheiten, Therapien und so weiter austauschen.

Personal Tracking, Tracker, Activity Tracker

Personal Tracking, Tracker, Activity Tracker sind Wearables, die die Aktivität des Trägers misst, z. B. die Schritte, die zurückgelegte Strecke oder den Kalorienverbrauch.

Quantified Self

Quantified Self bedeutet die Vermessung des Menschen mittels Apps und Wearables.

Self-Tracker

Self-Tracker sind Menschen, die ihren Körper selbst vermessen.

Telemedizin

Telemedizin ist ein Teilbereich von E-Health. Dabei tauschen sich Arzt und Patient oder Ärzte untereinander zum Beispiel über Telefon oder Computer über Diagnose und Behandlung aus.

Wearables

Wearables sind tragbare Computer wie Fitnessarmbänder, Shirts mit Herzfrequenzmessgerät, Schuhe oder Sport-BHs mit Schrittzähler und so weiter. Auch im medizinischen Bereich sind Wearables immer mehr verbreitet. Mit ihnen können Ärzte Gesundheitswerte wie Blutzuckergehalt oder Gewicht, Herzfrequenz oder den Schlafrhythmus laufend überwachen.

WhatsApp

WhatsApp ist eine kostenlose Nachrichten-App. In Deutschland bieten immer mehr Apotheken ihrer Kundschaft an, Medikamente per WhatsApp vorzubestellen.

Interview und Redaktion: Bettina Epper
Quelle
  • «Drogistenstern»